Ein junger Mann fährt gen Mitternacht mit dem Fahrrad über die Landstraße von Hövelhof nach Stukenbrock. Erhellt wird die Düsternis nur von der Karbidfunzel an seinem Rad. Auf Höhe der Brinkkapelle am Ortseingang von Stukenbrock hört der Mann ein gar schauderhaftes Ächzen und Krächzen. Angstvoll tritt er in die Pedale. Nur weg von hier! Kein Wunder, in seiner Kindheit hatte er viele Spukgeschichten gehört. Zu Hause angekommen, mischt sich in den Schauer eine andere Angst: Hat da ein verunglückter Mensch gelegen, den er in seiner Angst im Stich gelassen hat? Anderentags löst sich das Rätsel in Wohlgefallen auf. Das Ächzen kam weder von Nachtmahren noch von Unglücksopfern. Ein paar ältere Damen hatten sich zur Mitternachtsandacht in der Brinkkapelle verabredet. Was sich der junge Mann in seinem Kopf als den Jammer von Spukgestalten zusammengereimt hatte, war zittriger Lobgesang.
Aberglaube und Volksfrömmigkeit
Wann genau sich das Ereignis zugetragen hat, ist nicht mehr rekonstruierbar. Es war um 1910 herum, jedenfalls noch vor dem Ersten Weltkrieg. „Der junge Mann aber ist eindeutig identifizierbar“, sagt Heinz Renerig. „Das war mein Großvater.“ Die Geschichte erzählt der ehemalige Kirchenvorstand und Stadtführer in Schloß Holte-Stukenbrock mit Vorliebe. Zum einen fesselt er damit sein Publikum, zum anderen bietet die Erzählung die ideale Überleitung zur Sozial- und Glaubensgeschichte. Die Erzählung belegt, wie weit verbreitet noch Anfang des 20. Jahrhunderts der Aberglaube war und wie tief die Volksfrömmigkeit reichte. Immerhin trafen ältere Frauen mitten in der Nacht selbst organisiert zu Andacht und Gebet zusammen.