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Erzbistum Paderborn
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Mit den Menschen reden nicht über sie

Wie Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

Gespräch mit Anja Fecke von den Caritas Wohn- und Werkstätten Schloß Neuhaus. 

Anja Fecke, Seelsorgerin in den Caritas Wohn- und Werkstätten (CWW) Schloß Neuhaus, schildert anhand einer kleinen Szene, womit Menschen mit Behinderung in ihrem Alltag oftmals zu kämpfen haben. „Stellen Sie sich vor, Sie brechen sich das Bein und werden dann – sagen wir, von Ihrem Ehepartner – in einem Rollstuhl durch die Stadt gefahren. Wenn Ihnen dann Bekannte begegnen, werden sie in der Regel nicht Sie fragen, wie es Ihnen geht oder was Sie brauchen. Sie werden Ihren Partner fragen.“

Über die Menschen sprechen und nicht mit ihnen – es sind solche Verhaltensweisen, die der echten Inklusion von Menschen mit Behinderung im Wege stehen und eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschweren. Genau das will die diesjährigen „Woche des bürgerschaftlichen Engagements“ (10. bis 19. September 2021) ändern. Das Kampagnenthema lautet „Engagement und Inklusion“. Damit wollen sich die Verantwortlichen der Woche dafür einsetzen, dass alle Menschen ganz selbstverständlich überall dabei sein können – egal ob sie eine Behinderung haben, eine bestimmte Hautfarbe oder Religion.

Selbstverständliche Teilhabe

Die Caritas Wohn- und Werkstätten, in denen Anja Fecke arbeitet, setzen sich für diese selbstverständliche Teilhabe ein. Dabei liegt der Fokus auf der Teilhabe von Menschen mit einer geistigen Behinderung und mit psychischen Erkrankungen. „Gerade bei Menschen mit geistiger Behinderung haben wir die Gewohnheit, über sie zu reden und für sie etwas zu machen“, so die Gemeindereferentin. „Das führt dazu, dass sie ihre Selbstwirksamkeit nicht erleben. Man vermittelt ihnen die Botschaft: Das kannst du nicht. Und dann probieren sie gar nicht aus, ob sie es tatsächlich nicht können.“

Etwas anders, aber ebenfalls schwierig sei die Situation von Menschen mit einer psychischen Erkrankung. „Sie erleben sich durch ihre Krankheit als stigmatisiert und neigen dazu, sich zurückzuziehen, sogar aus dem Umfeld, in dem sie früher einmal integriert waren“, schildert Anja Fecke ihre Erfahrungen. „Sie wollen nicht auffallen, wollen auch nicht, dass andere merken, dass sie bestimmte Dinge nicht mehr können oder nicht mehr so belastbar sind.“

Wohnen und Arbeiten im CWW

In den Wohnheimen und Werkstätten des CWW können diese Menschen trotz dieser schwierigen Ausgangslage am gesellschaftlichen Leben mitwirken. „Es beginnt in den Wohnheimen, wo die Bewohnerinnen und Bewohner eigenständiges Wohnen lernen sollen“, so Anja Fecke. „Für Menschen, die das aufgrund ihres Behinderungsgrades nicht können, gibt es das gemeinschaftliche Wohnen. Aber auch da ist Teilhabe wichtig. Wir haben einen Wohnbeirat, wo mit allen gemeinsam überlegt wird: Was wollen wir verändern? Was läuft gut, was läuft weniger gut?“

Die Werkstätten ermöglichten zudem echte Teilhabe am Arbeitsleben. „Das CWW ist Partner großer Firmen“, erklärt Anja Fecke. „Und für unsere Mitarbeitenden ist es wichtig zu wissen, dass manche Produkte ohne ihre Arbeit nicht funktionieren würden: Geldautomaten, Lichtsysteme oder Computer zum Beispiel. Wir stellen vielleicht nur einzelne Bestandteile her, aber ohne diese Teile würde das große Ganze nicht funktionieren. “

Ehrenamtliches Engagement fördert Inklusion

Ein weiteres wichtiges Feld der Teilhabe sei die Freizeitgestaltung. „Hier gibt es zum Glück ganz viel Ehrenamtliche, die uns in diesem Lebensbereich unterstützen“, ist Anja Fecke dankbar. „Es gibt zum Beispiel Ehrenamtliche, die unsere Bewohnerinnen und Bewohner bei Einkäufen begleiten oder mit zum Gottesdienst nehmen. Andere haben ein musikalisches Talent und gründen einen Singkreis – die Möglichkeiten sind vielfältig. Und wir freuen uns über jeden, der mitmachen möchte. Es fördert die Inklusion, wenn Menschen mit und ohne Behinderung etwas gemeinsam machen.“

Was ehrenamtliches Engagement von Menschen mit einer geistigen Behinderung angeht, ist Anja Fecke übrigens überzeugt davon, dass diese gute Pfarrgemeinderatsmitglieder sein könnten. „Theoretisch können sie sich zur Wahl aufstellen lassen“, sagt sie. „Mit den Verständnisfragen, die sie in den Gremien dann mit Sicherheit stellen würden, würden sie die anderen Mitglieder dazu zwingen, mehr auf den Kern zu kommen. Und sie würden darauf aufmerksam machen, dass vieles, was getan und gesagt wird, einfach zu schwer ist. Auch die Sprache unserer Gottesdienste ist zu schwierig.“

Von Barrierefreiheit profitieren alle

In den Gottesdiensten, die sie mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des CWW feiert, setzt sie selbstverständlich ganz auf leichte Sprache. „Ich verwende zum Beispiel keine Begriffe wie ‚Eucharistie‘ oder ‚Allerheiligstes‘ – die sind für die Teilnehmenden unverständlich“, erklärt sie. „Stattdessen spreche ich vom heiligen Brot. Ich mache darauf aufmerksam, dass dieses Brot anders aussieht als das, was wir auf dem Küchentisch haben und dass es deshalb etwas Besonderes ist. Dass es sagt: Hier ist Jesus Christus, der wirklich zu uns kommt. Ich kann das Brot essen, dann ist Jesus Christus in mir.“

Anja Fecke ist überzeugt davon, dass die leichte Sprache nicht nur für Menschen mit Behinderung eine Hilfe ist. „Wenn zum Beispiel Gesetzestexte oder die Steuererklärung einfacher formuliert wären, dann würden alle davon profitieren“, meint sie. „Auch andere Maßnahmen für mehr Barrierefreiheit helfen nicht nur Menschen mit einer Behinderung. Über Rampen oder abgesenkte Bürgersteige freuen sich zum Beispiel auch Radfahrer oder Eltern mit Kinderwagen. Und für alle wäre es doch angenehmer, wenn die Beipackzettel von Medikamenten größer geschrieben wären.“

“Was willst du, dass ich dir tue?”

Es sei eben nicht so, dass die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung nur in „Sonderwelten“ wie Wohnheimen und Werkstätten zu realisieren seien. „Es gibt noch viel mehr Möglichkeiten, mit denen man die Teilhabe von Menschen mit einer Behinderung am normalen gesellschaftlichen Leben verbessern kann – und alle profitieren davon.“

Skeptisch sieht Anja Fecke allerdings die Forderung von manchen Aktivisten, dass es gar keine „Sonderwelten“ wie Wohnheime oder Werkstätten für Menschen mehr geben dürfe. „Natürlich wäre es schön, wenn unsere Gesellschaft so inklusiv und barrierefrei würde, dass alle Menschen mit Behinderungen überall selbstverständlich leben könnten“, sagt sie. „Aber es gibt eben auch Menschen, die in der ‚Sonderwelt‘ bleiben wollen. Gerade von Menschen mit psychischen Erkrankungen hört man oft: Ich möchte gar nicht wieder auf den ersten Arbeitsmarkt, denn der hat mich krank gemacht. Ich möchte gerne in der Werkstatt bleiben.“

Es geht eben darum, die betroffenen Menschen selbst zu fragen, was sie wollen – das ist für Anja Fecke der entscheidende Schlüssel zu einer inklusiven Gesellschaft. Als Vorbild nennt sie Jesus und sein Gespräch mit dem blinden Bartimäus (Mk 10, 46-52): „Er heilt ihn nicht einfach, sondern fragt ihn zuerst: ‚Was willst du, dass ich dir tue?‘ Er geht nicht einfach davon aus, zu wissen, was gut für den Blinden ist. Er nimmt ihn ernst und fragt ihn zuerst, was er will.“

Header- und Teaserfoto: Maders / shutterstock

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