Solange sich alle an die Regeln halten und die Betenden nicht stören, gibt es seitens des Kirchenvorstands gegen den Betrieb vor der Kapelle nichts einzuwenden. Die Piuskapelle soll für alle Menschen zugänglich sein. Zudem: Verglichen mit dem Spektakel, das die Kapelle in ihrer Bauzeit erlebte, ist jede Feier heutiger Tage ein Klacks. In den 1870er-Jahren ging es rund um die Kapelle mit Böllerschüssen und Fackelzügen, mit Vivat-Rufen auf den Papst und dem Aufgebot der örtlichen Gendarmerie heiß her. Die Piuskapelle ist steingewordenes Zeugnis aus dem Kulturkampf. Einst wurde mit dem Gemäuer Politik gemacht.
Ein provokativer Name
Politisch ist bereits der Name der Kapelle. Geweiht ist diese nicht etwa dem heiligen Pius, der Mitte des zweiten Jahrhunderts Bischof von Rom war. Sie ist Papst Pius IX. gewidmet. Zum Zeitpunkt der Erbauung bedeutete dies mehr als eine Provokation gegenüber der staatlichen Obrigkeit. In das von 1846 bis 1878 währende Pontifikat von Pius IX. fallen die Verkündigung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis Mariens und das Erste Vatikanische Konzil, bei dem die Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen festgelegt wurde. Für Reichskanzler Otto von Bismarck verkörperte Papst Pius IX. überdies den Ultramontanismus, also den Versuch einer Rekatholisierung Deutschlands. Im deutschen Kaiserreich war Papst Pius Staatsfeind Nummer 1.