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Erzbistum Paderborn
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© ventdusud / Shutterstock.com

„Menschen, die gemeinsam aufwachsen und lernen, schießen selten aufeinander“

Die Lage der Christen im Heiligen Land hat sich seit dem 7. Oktober dramatisch verschlechtert. Männer und Frauen aus dem Erzbistum Paderborn versuchen, ihnen zu helfen und langfristig Verständigung zwischen den Religionen zu schaffen

Seit dem 7. Oktober ist das Heilige Land täglich in den Nachrichten. Der Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel hat den Nahostkrieg wieder aufflammen lassen. Wer die Schlagzeilen überfliegt, liest viel über die Gefechte zwischen israelischem Militär und Hamas-Terroristen, über Statements der israelischen Regierung, internationale Reaktionen und Hilfslieferungen. Aber auch über die Auswirkungen des Konflikts hierzulande, etwa die stark gestiegene Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland oder pro-palästinensische Demonstrationen an Universitäten. All das dominiert die öffentliche Debatte. Doch worüber selten gesprochen wird: über die Christen im Heiligen Land. Und darüber, wie auch sie vom Krieg betroffen sind.

Zwischen den Fronten

Christinnen und Christen im Heiligen Land – die gibt es? Diese Frage ist nicht unberechtigt. Denn: Ja, es gibt Christinnen und Christen im Heiligen Land. Aber nicht mehr viele. Etwa 1,3 Prozent der israelischen Bevölkerung sind Christen. Die meisten von ihnen sind palästinensische Christen, die in den Palästinensergebieten leben. „Zwischen den beiden großen Gruppen der Israelis und der muslimischen Palästinenser haben die christlichen Palästinenser einen schweren Stand. Deshalb sehen sich viele von ihnen gezwungen auszuwandern“, sagt Thomas Hamm, Leitender Komtur der Paderborner Komturei St. Meinwerk des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem.

Hinter der altertümlich anmutenden Bezeichnung „Ritterorden“ verbirgt sich eine katholische Hilfsorganisation, die es sich seit fast 160 Jahren zur Aufgabe gemacht hat, den Christen im Heiligen Land zu helfen. Hamm erklärt: Was die Behandlung der Menschen in den Palästinensergebieten angeht, werde vonseiten des israelischen Staates nicht groß zwischen Christen und Muslimen unterschieden. So seien beide Religionsgruppen von den Repressalien der Regierung betroffen. Die Situation sei schon vorher kompliziert gewesen. Seit dem 7. Oktober habe sie sich dramatisch verschlechtert.

Die Notlage in den Palästinensergebieten

Im Gazastreifen leben rund 700 Christinnen und Christen in der Pfarrei „Heilige Familie“. Den Aufrufen des israelischen Militärs, den Norden zu verlassen, konnten sie vielfach nicht folgen: Denn die Pfarrei betreut in ihren Einrichtungen schwerbehinderte Kinder und Jugendliche. „Die konnten nicht mal eben in den Süden des Gazastreifens ausweichen. Der Lateinische Patriarch von Jerusalem hat daraufhin die Koordinaten der Gemeindeeinrichtungen an die israelische Regierung weitergegeben, mit der Bitte, bei den Bombardements darauf Rücksicht zu nehmen“, sagt Hamm. Wie der muslimischen Bevölkerung fehle es auch der christlichen an sauberem Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten. So habe es ein Priester aus Gaza formuliert: Die Christen „haben Mangel an allem und verzweifeln“.

Das Westjordanland ist von den Bombardements der israelischen Armee nicht betroffen, aber auch hier ist die Lage schlecht. Als Reaktion auf den Angriff vom 7. Oktober hat Israel die palästinensischen Gebiete abgeriegelt. War die Bewegungsfreiheit vorher schon eingeschränkt, existiert sie nun faktisch nicht mehr. Damit ist der Tourismus – die Haupteinnahmequelle der christlichen Familien – völlig zum Erliegen gekommen. Zudem wurden alle Arbeitsgenehmigungen, die es bisher rund 100.000 Palästinensern ermöglichten, in Israel zu arbeiten, zurückgezogen. Das Lateinische Patriarchat von Jerusalem geht derzeit von einer Arbeitslosenquote von 72 Prozent in den christlichen Gemeinden aus. Den Familien fehle es am Nötigsten. Hinzu kämen Übergriffe radikaler israelischer Siedler, die zum Beispiel palästinensische Bauern an der Olivenernte hindern wollten, einem weiteren wichtigen Wirtschaftszweig für die Menschen dort.

Warum eine differenzierte Sicht notwendig ist

Angesichts des Leids der christlichen Palästinenser kann man leicht in ein Schwarz-Weiß-Denken verfallen. Doch das ist zu einfach. „Die Situation ist hochkomplex“, sagt Hamm. Es gebe zwei Narrative, ein israelisches und ein palästinensisches, die sich scheinbar unvereinbar gegenüberstehen. So monolithisch, wie das scheint, ist die Realität aber nicht. „Im Moment sehen wir eine radikale Gruppe von Israelis, die an der Regierung beteiligt ist und einen sehr rechten Kurs fährt.“ Aber es gibt auch viele liberale Israelis. Die zum Beispiel ins Westjordanland gehen, um die erwähnten palästinensischen Olivenbauern vor den radikalen Siedlern zu schützen. Umgekehrt gibt es christliche und muslimische Palästinenser, die sich für eine Verständigung mit jüdischen Israelis einsetzen.

Es ist eine große Herausforderung für den Orden, mit dieser komplexen Situation umzugehen. „Wir bemühen uns um eine differenzierte Sichtweise“, sagt Hamm. „Den unmenschlichen, grausamen Überfall der Hamas auf Israel muss man ganz klar verurteilen.“ Der Angriff und die Geiselnahmen haben Israel und die jüdische Gemeinschaft weltweit in ihren Grundfesten erschüttert. „Israel hat das Recht, sich zu verteidigen.“ Gerade als deutsche Ordensdamen und Ritter sehe man „die Jüdinnen und Juden in Deutschland, die unglaublichen Anfeindungen ausgesetzt sind.“

Ziel: Friedliches Zusammenleben aller Religionen

Gleichzeitig müsse man aber auch die Situation der Palästinenserinnen und Palästinenser sehen – der christlichen wie der muslimischen. „Durch unsere Reisen haben wir persönlichen Kontakt zu den Menschen vor Ort und erfahren, in welcher Not sie sich befinden. Das Leid der Palästinenser ist unermesslich. Letztlich stellt die Hamas die eigene Bevölkerung vor die Waffen der Israelis und versteckt sich dahinter. Das ist ein perfides Vorgehen auf Kosten der Zivilbevölkerung“. Der Orden ist sehr deutlich darin, dass er keine politischen Ziele verfolgt, nicht für die eine oder die andere Seite Partei ergreift. „Wir wollen Menschen in Not helfen“, sagt Hamm.

Das sind in erster Linie die Christinnen und Christen im Heiligen Land. Sie sollen in der religiösen Heimat des Christentums gut leben können und eine Zukunft haben – sie sollen sich nicht zur Auswanderung gezwungen sehen. Zum anderen – so formuliert es der Ritterorden ausdrücklich – geht es darum, dass alle Menschen im Heiligen Land ein menschenwürdiges Leben führen können. Der Orden setzt sich für ein friedliches Zusammenleben von christlichen, muslimischen und jüdischen Nachbarn im Heiligen Land ein. Eine Aufgabe, die seit dem 7. Oktober noch an Brisanz gewonnen hat.

Wie sieht die Hilfe des Ordens aus?

Die Ordensdamen und Ritter unterstützen in der aktuellen Notsituation humanitäre Hilfsprojekte des Lateinischen Patriarchats. Sie übernehmen etwa Kosten für die medizinische Versorgung, für Lebensmittel, Mieten oder Studiengebühren.

Mit ihren Spenden finanzieren sie aber vor allem Lösungen, um den Menschen im Heiligen Land nachhaltig zu helfen. Ein Schwerpunkt sind die Kindergärten und 42 Schulen in der Region sowie die Universität von Bethlehem. „Bildung ist für uns der Schlüssel zur Verständigung“, sagt Hamm. Deshalb stehen die Einrichtungen Menschen aller Religionen offen. Und weil sie einen sehr guten Ruf haben, schicken auch muslimische Eltern ihre Kinder dorthin.

Frieden stiften durch gemeinsame Bildung

Durch Bildung haben junge Palästinenserinnen und Palästinenser eine Zukunftsperspektive vor Ort und müssen nicht auswandern. Gerade in der konfliktreichen Situation im Heiligen Land ist es aber auch wichtig, dass sich schon die Kinder kennenlernen, dass Christen, Muslime und Juden gemeinsam aufwachsen. So wächst das Verständnis füreinander. „Deshalb sind die Kindergärten, Schulen und die Universität für uns ein wichtiger Teil einer friedensstiftenden Initiative für die Region“, sagt Hamm. Denn: „Wer zusammen aufwächst und zusammen lernt, schießt selten aufeinander.

Der Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem

Der Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem (lateinische Bezeichnung „Ordo Equestris Sancti Sepulcri Hierosolymitani“, Ordenskürzel: OESSH) ist ein päpstlicher Laienorden, dem auch Kleriker angehören. Er wurde 1868 durch Papst Pius IX. gegründet und widmet sich seitdem der Aufgabe, das Lateinische Patriarchat von Jerusalem und die Christen im Heiligen Land zu unterstützen. Seit 1888 werden Frauen als gleichberechtigte Mitglieder in den Orden aufgenommen.

Der Ritterorden ist weltweit in Statthaltereien organisiert, darunter kommen die Ordensprovinzen und auf Ortsebene die Komtureien. Die deutsche Statthalterei mit ihrem Sitz in Köln hat 1.400 Mitglieder in sechs Provinzen. Auf dem Gebiet des Erzbistums Paderborn gibt es Komtureien in Paderborn, Meschede und Dortmund. Jeder Komturei steht eine Ordensdame oder ein Ritter als Leitende Komturdame oder Leitender Komtur vor.

Die Ordensdamen und Ritter finanzieren Bildungs- und karitative Einrichtungen im Heiligen Land. Die Kindergärten, die 42 Schulen und die Universität von Bethlehem haben einen exzellenten Ruf und stehen Kindern und jungen Menschen aller Religionen offen. Außerdem finanziert der Orden zu großen Teilen die Arbeit des Lateinischen Patriarchats, also die Verwaltung und Seelsorge im Heiligen Land.

Mehr Informationen finden Sie auf der Homepage des Ritterordens

© LALS STOCK / Shutterstock.com
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Ein Beitrag von:
Redakteur

Cornelius Stiegemann

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