„Im Orient, insbesondere auch im Heiligen Land, ist Religion keine Privatsache, keine Frage der Innerlichkeit. Gläubige demonstrieren ihre religiösen Überzeugungen in der Öffentlichkeit. Religion und Politik sind oft unentwirrbar verschlungen“.
So fasste Michael Mertes, der auf Einladung des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem am 6. Juli in Paderborn einen Vortrag über den interreligiösen Dialog im Heiligen Land hielt, seine Einschätzung zusammen.
Mertes war von 2011 bis 2014 Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem. Zuvor war er viele Jahre im Bundeskanzleramt beschäftigt, unter anderem als Leiter der Planungs- und Kulturabteilung und Chef der Abteilung, in der die Reden für Bundeskanzler Kohl geschrieben wurden.
Er berichtete über seine Erfahrungen aus seiner Zeit im Heiligen Land
Der Dialog zwischen den monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam gestalte sich im Heiligen Land schwierig.
Anders als Europäerinnen und Europäer verstünden die Angehörigen dieser drei Religionen im Nahen Osten ihre Religion nicht als Privatsache, sondern zeigten ihre religiösen Überzeugungen öffentlich und verbänden sie häufig mit politischen Aussagen. Das kompliziere den interreligiösen Dialog.
Das Judentum sei sehr pluralistisch und heterogen. Die meisten israelischen Juden verständen sich nicht nur als Angehörige einer Religionsgemeinschaft, sondern als Volk beziehungsweise definierten Israel als jüdischen Nationalstaat.
Auch aus Sicht der Palästinenser sei das Judentum nicht nur eine Religionsgemeinschaft, sondern nationale Grundlage des Staates Israel, als dessen Vertreibungsopfer sich viele Palästinenser fühlten.
Politik sei daher von Religion bei allen Diskussionen nicht zu trennen.
Das wirke sich auch aus auf den Dialog zwischen Christen und Juden im Heiligen Land.
Während europäische Christinnen und Christen den Dialog mit dem Judentum suchten, auch um das Verhältnis von Christentum und Judentum zu bereinigen nach einer europäischen Geschichte, in der der Antijudaismus von Feindschaft der Christinnen und Christen getrieben gewesen sei, teilten die orientalischen christlichen Menschen diesen Ansatz nicht, weil sie sich für den Antijudaismus und die Pogrome der europäischen Geschichte nicht verantwortlich fühlten. Der Dialog sei daher oft nur ein Dialog zwischen westlichem Christentum und dem Judentum. Dabei sei doch allen christlichen Menschen klar, dass die Wurzel des Christentums im Judentum liege, dass das Neue Testament ohne das Alte Testament weder denkbar noch zu verstehen sei.