Redaktion: Woher stammt Franz Stocks Liebe zu Frankreich – in einer Zeit, als dies alles andere als selbstverständlich war?
Professor Dr. Rüdiger Althaus (bei einem Vortrag über Franz Stock auf dem Katholikentag in Münster) begleitet das Seligsprechungsverfahren.
Professor Dr. Althaus: Zum ersten Mal richtig greifbar wird seine Affinität zu Frankreich bei einer internationalen Veranstaltung für die Jugend, die 1926 in Bierville in der Nähe von Paris stattfindet. Sie wurde von Marc Sangnier ausgerichtet, mit dem Motto: „Frieden durch die Jugend“. Es haben etwa 9.000 junge Leute daran teilgenommen, darunter etwa 800 Deutsche. Franz Stock schloss dort Freundschaften, lernte Land und Leute und auch die französische Mentalität und Sprache besser kennen. Und das veranlasste ihn, seine Freisemester in Paris zu verbringen, was bis dahin absolut unüblich war, denn Deutschland und Frankreich befanden sich zumindest bewusstseinsmäßig weiterhin in einer Art Kriegszustand. Er wurde auch massiv gewarnt, nach Frankreich zu gehen.
Redaktion: Wie kam er 1934 an die Stelle des Seelsorgers für die deutsche Gemeinde in Paris?
Professor Dr. Althaus: Man kam in Paris auf den Gedanken, Franz Stock zu berufen. Man wollte dort für die Seelsorge an den Deutschen alles andere als einen ideologischen Scharfmacher. Der noch relativ neue Erzbischof von Paris war früher Regens des Priesterseminars und kannte Franz Stock und seine Einstellung genau. Franz Stock nahm sich in dieser Zeit bis 1939 aber nicht nur seiner Gemeindemitglieder an, sondern auch der wachsenden Gruppe derjenigen, die aus Deutschland vertrieben wurden oder emigrierten. Das waren vor allem Menschen mit jüdischer Abstammung. Es wird berichtet, dass seine Adresse im Grunde eine Art Geheimtipp war: Hier ist einer, der dir wohnungsmäßig, finanziell, arbeitsmäßig, kontaktmäßig weiterhelfen kann.
Redaktion: Auch während des Zweiten Weltkrieges war er Seelsorger im besetzten Paris. Wie konnte er diese Aufgabe unter Kriegsbedingungen wahrnehmen?
Professor Dr. Althaus: Franz Stock hatte eine doppelte Aufgabe. Die erste betraf die Soldatenseelsorge, in der er es unter anderem als seine Pflicht ansah, den Soldaten Achtung für die französische Kultur zu vermitteln. Dies machte er, indem er mit ihnen Ausflüge in die Umgebung unternahm. 1943 hat er zudem ein Buch über die Bretagne veröffentlicht, das weniger ein Reiseführer, sondern mehr eine Hinführung zu der Kultur der Bretonen war.
Die andere Aufgabe betrifft die Seelsorge in den Wehrmachtsgefängnissen. Dort wirkte er zunächst als Priester, aber darüber hinaus signalisierte er jedem, der dort inhaftiert war, durch einfache Gesten der Mitmenschlichkeit: Da ist jemand, der an eurem Schicksal teilhat und bestrebt ist, euch etwas Gutes zu tun. Das reichte von der Besorgung von Artikeln des täglichen Gebrauchs bis hin zu Kontaktaufnahmen mit Angehörigen. Diese Zuwendung geschah unabhängig davon, ob es ein praktizierender Katholik, ein Kommunist, ein Jude oder ein Atheist war. So gelang es ihm, großes Vertrauen bei all diesen Menschen zu gewinnen. Sie legten großen Wert darauf, dass er sie nicht nur auf ihrem Weg zur Erschießung begleitete, sondern dass sie ihm im Moment des Todes in die Augen blicken konnten. Er nahm dann auch an den Begräbnissen teil, um den Angehörigen mitteilen zu können, wo sich das Grab befand.