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Erzbistum Paderborn
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Die Corona-Krise als Herausforderung und Chance

Interview mit Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig zur aktuellen Lage.

Interview mit Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig zur aktuellen Lage

Die Corona-Krise hinterlässt ihre Spuren im Alltag, im Geschäftsleben, aber vor allem auch im Gesundheitswesen. Caritas ist eine Grundhaltung der Christen. Tätige Nächstenliebe, lateinisch „Caritas“, gehört quasi zu deren „genetischem Code“. Der Cariatsverband für das Erzbistum Paderborn ist der große Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche, dem rund 220 rechtlich selbstständige Träger angeschlossen sind. Hinzu kommen Kirchengemeinden als Träger von Kitas oder Altenheimen. Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig blickt in einem Interview mit Redakteur Ronald Pfaff auf die aktuelle Lage.

Redaktion:

Die Caritas beschäftigt viele Pflegeberufe: In der Altenhilfe, in ambulanten und mobilen Sozialstationen, generell in der Pflege von Alten, Kranken und Bedürftigen. Halten die vielen Schwestern und Pfleger die Belastung – momentan eine besondere große Belastung – noch aus?

Josef Lüttig:

Die Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist tatsächlich hoch, erste Ausfälle müssen gerade kompensiert werden. Bewundernswert ist allerdings auch die Solidarität unter den vielen Pflegekräften, die freiwillig Dienste für erkrankte Kollegen übernehmen und die Versorgung übernehmen.  In der Bevölkerung gibt es viele positive Reaktionen, so wurde vielerorts schon für die Pflegenden öffentlich Beifall gespendet. Es zeigte sich allerdings auch schon am Anfang der Krise die hässliche menschliche Seite. Pflegekräfte werden als Virenschleuder beschimpft und  teilweise angepöbelt. Dem ist unbedingt entgegenzutreten. Wir alle sind aufgefordert, die Pflegenden bei ihrer herausfordernden Aufgabe zu stärken und zu stützen.

Redaktion:

Wie können Sie als Caritasverband die eigenen Mitarbeitenden unterstützen?

Josef Lüttig:

Mit Flexibilität, Kreativität und Gemeinschaftssinn haben wir ein ganzes Bündel von Maßnahmen realisieren können. Überall wo es möglich ist – und mit Blick auf die zu versorgenden Menschen auch zulässig – haben wir „coronafreundliche“ Rahmenbedingungen geschaffen. Dazu gehört die besondere Rücksichtnahme auf persönliche Umstände der Mitarbeitenden bei der Dienstplanung, aber auch offene und transparente Kommunikationsstrukturen. Zu nennen sind aber auch besondere Hilfs- und Gesprächsangebote auf dem Fundament unseres christlichen Profils. So gibt es in der Geschäftsstelle des Diözesan-Caritasverbandes ein telefonisches Gesprächsangebot für alle Caritas-Beschäftigen im Erzbistum – auch an den Wochenenden. Wir geben Impulse zum Thema „Christsein in der Coronakrise“, machen Mut und drücken Dankbarkeit aus.

Unterstützung geschieht auch, indem wir Mitarbeitende zu Flexibilität und Kreativität ermutigen und gelungene Beispiele sofort teilen und sichtbar machen, auch trägerübergreifend. Starre Rollenmuster, die in Krisenzeiten hinderlich sind, dürfen derzeit über Bord geworfen werden, um die Talente einbringen zu können. So kann die Krise durchaus auch als Chance zu Veränderungen verstanden und genutzt werden.

“Starre Rollenmuster, die in Krisenzeiten hinderlich sind, dürfen derzeit über Bord geworfen werden, um die Talente einbringen zu können.”

Josef Lüttig, Diözesan-Caritasdirektor

Redaktion:

Sind Caritas-Einrichtungen vom sogenannten Shut-Down betroffen?

Josef Lüttig:

Viele unserer sozialräumlichen und ehrenamtlich getragenen Caritaseinrichtungen sind tatsächlich vom Shut-Down betroffen. Das reicht von den Kleiderkammern, Warenkörben und Tafeln über offene Treffs und Seniorencafés bis zu Tagespflegen und Mutter-Kind-Kliniken. Deswegen war es wichtig, Wege zu suchen, dass nicht gerade die Ärmsten der Armen die größten persönlichen Nachteile durch die Krise zu tragen haben. Ich bin als Diözesan-Caritasdirektor daher unserem Herrn Erzbischof hochgradig dankbar, dass er uns in der vorletzten Woche mit einer großzügigen Spende in die Lage versetzt hat, diesen Menschen auch finanziell unter die Arme zu greifen.

Redaktion:

Ist die Versorgungslage gesichert – sowohl materiell als auch personell?

Josef Lüttig:

Die derzeitige Versorgungslage ist personell gesichert. Die Träger haben umfangreiche Restrukturierungen und Organisationsveränderungen vorgenommen, um die riesigen Aufgaben zu bewältigen, die sich durch die Pandemie ergeben. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sehr gut für die anstehenden Aufgaben motiviert und auch bereit in den unterschiedlichen Aufgabenfeldern die Hilfesuchenden zu unterstützen. Die Hilfestellungen gehen sogar soweit, dass Träger untereinander im Notfall durch den Einsatz von Mitarbeitenden aushelfen, um die Patientenversorgung bestmöglich zu gewährleisten.

Deutlich problematischer schätzen wir aktuell die Lage im Bereich der Schutzmaterialien ein. Der Bedarf ist vor Ort groß und existentiell. Die Güter stammen vor allem aus Fabriken in China. Viele der üblichen Lieferwege sind abgeschnitten oder erschöpft. Auch wenn die chinesischen Fabriken die Kapazitäten deutlich aufgestockt haben, kann das Angebot die weltweite Nachfrage aktuell nicht decken. Dies spiegelt sich in täglich steigenden Preisen für die Güter und die damit zusammenhängende Logistik wider. Zudem drängen aktuell vermehrt unseriöse Anbieter auf den Markt, was die Beschaffungssituation zusätzlich verkompliziert.

Die politischen Anstrengungen der Bundesregierung greifen bisher nicht in ausreichendem Umfang. Vor allem bei den uns angeschlossenen Einrichtungen und Diensten der Altenhilfe kommen die von den Seiten der Politik versprochenen Schutzmaterialien in zu wenigen Stückzahlen an. In diesem Zusammenhang haben wir aktuell unsere Beschaffungsaktivitäten im Bereich der Schutzmaterialien für die Alten-, Jugend- und Behindertenhilfe zentralisiert und sind zur weiteren Optimierung auch mit den Vertretern der katholischen Krankenhäuser im Austausch. Die Bündelung und weitere Abwicklung erfolgen in enger Abstimmung zwischen uns als Spitzenverband und der im Jahr 2018 gegründeten Caritas Dienstleistungs- und Einkaufsgenossenschaft im Erzbistum Paderborn.

Redaktion:

Viele ältere und alleinstehende Menschen bekommen von der Caritas Unterstützung, in dem Haushaltshilfen aus Polen vermittelt werden. Lassen Kontakt- und Reisesperren diesen Service noch zu?

Josef Lüttig:

Dieser Service kann noch als sehr stabil eingeschätzt werden. Viele Frauen aus Polen haben im Rahmen unseres Projektes CariFair angesichts der Corona-Krise ihren Vertrag verlängert, um nicht bei einer Rückreise in ihr Heimatland in eine 14-tägige Quarantäne zu müssen. Es reisen auch noch polnische Haushaltshilfen ein. Hier ist teilweise Fantasie gefragt. Es gab Fälle, in denen die Haushaltshilfe in Polen bis zur Grenze gebracht wurde, um dann direkt an der Grenze von der deutschen Familie abgeholt zu werden. Teilweise ist der grenzüberschreitende Verkehr mit Kleinbusen auch möglich. Vereinzelt melden sich bei uns Frauen, die im Einsatz in Deutschland sind – häufig in illegalen Beschäftigungsverhältnissen. Einige von ihnen konnten dann im Projekt CariFair auch an anfragende Familien vermittelt werden.

Redaktion:

Welche Zusatzaufgaben müssen die Mitarbeitenden gerade in Palliativ- und Hospizbereichen leisten? Brauchen die Helfer schon selbst mal Hilfe?

Josef Lüttig:

Es gibt in diesen Bereichen Ausnahmen des Besuchsverbotes, wenn diese Besuche ethisch geboten sind. Angehörige sterbender Gäste müssen dann in Hygienemaßnahmen eingewiesen und unterrichtet werden, was sonst nicht der Fall ist. Belastend für Mitarbeitende ist zu erleben, wie schwierig sich für Angehörige diese letzten Besuche gestalten. Gruppenbetreuung und gemeinsame Mahlzeiten sind nicht mehr möglich. Das gilt auch für den Einsatz von Ehrenamtlichen, ohne die Hospizarbeit gar nicht vorstellbar ist. Es braucht also vermehrt zeitintensive Einzelbetreuungen in den Zimmern durch das hauptberufliche Stammpersonal. Niemand soll schließlich allein sterben, allerdings fehlt dann das Personal an allen Enden.

Ansonsten sind die Einrichtungen vom Coronavirus bisher verschont geblieben, so dass die Helfer – anders als in Italien oder Spanien – bis jetzt noch keine Hilfe brauchen. Im Hospiz ist man sich stets der begrenzten Lebenszeit der Gäste bewusst. Hier ist es anders als im Krankenhaus, wo es darum geht, Krankheiten zu heilen und Leben zu retten.

Redaktion:

Welchen Wert hat heute caritatives Engagement?

Josef Lüttig:

Caritatives Engagement bewährt sich auch jetzt in dieser Krisenzeit, so wie es dies zuletzt z.B. bei der Ankunft und Aufnahme der Flüchtlinge getan hat: Hauptamtliche, die ihren Dienst auch angesichts der Ansteckungsgefahr durchaus mutig und professionell ausüben sowie flexibel nach Lösungen für auftretende Probleme suchen. Ehrenamtliche, die sich etwas einfallen lassen, um zu Menschen, für die sie sich sonst „face to face“ eingesetzt haben, Nähe herstellen zu können, sei es digital über Mails und social media oder analog in Telefonaten oder kreativ gestalteten Briefe oder Postkarten. Viel Engagement fließt in die Unterstützung von Nachbarschaftshilfen und –initiativen. Auch wir in der Geschäftsstelle des Diözesan-Caritasverbandes haben uns nicht etwa zurückgezogen, sondern unterstützen die vielfältigen Dienste und Einrichtung caritativer Träger nach wie vor im vollen Umfang.

Redaktion:

Vor welchen Fragen oder Problemen stehen Menschen, die für die Caritas in der Flüchtlingshilfe aktiv sind?

Josef Lüttig:

Das notwendige „social distancing“ erschwert sowohl für Haupt- als auch für Ehrenamtliche die Begleitung von Geflüchteten enorm. Zum einen gehören viele der begleitenden Ehrenamtlichen überwiegend zu der sogenannten „Risikogruppe“. Es gilt daher für sie, ihr Engagement „anders“ zu gestalten. Zudem sind Besuche in den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften im Moment nicht mehr möglich, so sind Hilfestellungen erschwert und die Bewohner sind von der Mehrheitsgesellschaft noch abgeschotteter.  Die Menschen in den Unterbringungseinrichtungen sind in der Regel in  Mehrbettzimmern untergebracht. Es gibt quasi keine Rückzugsmöglichkeiten. Bereits existierende psychosoziale Probleme bei den geflüchteten Menschen können sich so dramatisch verstärken, neue kommen dazu. Viele von ihnen sind mit dem Kopf auch in den Situationen in ihren Herkunfts- und Transitländern. Sie machen sich große Sorgen um ihre Familien und Freunde, die dort noch leben und der Pandemie wahrscheinlich hoffnungslos ausgeliefert sind.

Bei all diesen Fragen und Nöten können sich sowohl Hilfesuchende als auch Ehrenamtliche auf die hauptamtlichen Fachkräfte verlassen. Beratung und Begleitung erfolgen weiter, wenn auch in anderer Form als zuvor: statt in offenen Sprechstunden wird per Telefon und E-Mail beraten, demnächst auch per Onlineberatung. Die Fachkräfte sind im Moment stark gefordert, zusätzlich zu den vielen Gesetzen und Vorgängen, die Geflüchtete bereits im „Regelbetrieb“ betreffen, nun auch möglichst aktuell und mehrsprachig über coronabedingte Fragen Auskunft zu geben und an Lösungen zu arbeiten.

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