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Palmzweige und Kreuz© j.chizhe / Shutterstock.com

Sehnsucht

Der Anfang vom Ende: Warum es Jesus am Palmsonntag nach Jerusalem zieht

Palmzweige, Esel, Passionsgeschichte. Die äußeren Bilder des Palmsonntags sind bekannt. Aber: Was macht den inhaltlichen Kern des Fests aus? Wie lassen sich die vielen Bilder und Botschaften für das eigene Leben entschlüsseln? Michael Feldmann, Propst von Werl, erzählt im Interview, dass Palmsonntag viel mit Sehnsucht zu tun hat. Und Hollywood.

Redaktion

Propst Feldmann, kennen Sie das Gefühl, gefeiert zu werden?

Propst Michael Feldmann

(Lacht). Ja, sicher. Meine Priesterweihe und meine Primiz waren große Feiern. Auch mein 25-jähriges Priesterjubiläum und mein 60. Geburtstag. Bei solchen Festen habe ich mir damals, vor 37 Jahren, schon gut vorstellen können, warum dem Feldherrn beim siegreichen Einzug in Rom etwas vor den Augen verbrannt und die Asche vor sie gestreut wurde. Mit dem Ruf: „sic transit gloria mundi – so vergeht die Herrlichkeit der Welt“. Diese Feste sind ganz schnell zu Ende.

Redaktion

Auch Jesus wird gefeiert, als er in Jerusalem einzieht. Die Menschen breiten ihm sogar Kleidung und Palmzweige auf dem Weg aus. Was soll das?

Propst Feldmann

Da versetzen Sie sich mal gedanklich in ein anderes Jahrtausend. Ohne gepflasterte Straßen. Ohne Kanalisation. Damals haben die Menschen Mist, Dreck und Fäkalien auf die Straße geworfen. Deswegen haben die Menschen Palmzweige und Kleidung ausgelegt, damit eine verehrte Person nicht durch den Mist gehen musste.

Propst Michael Feldmann segnet in der Heiligen Messe am Palmsonntag die Palmenzweige.

Die Menschen in Jerusalem legten die Zweige vor Jesus auf den Weg, um ihm einen sauberen Weg zu ermöglichen und zeigten ihm damit, wie sehr sie ihn verehrten.

Redaktion

Also wollten die Menschen Jesus eine schöne Ankunft bereiten.

Propst Feldmann

Ja. Und gleichzeitig wird klar: An einem Tag kommt das „Hosanna“ und nur ein paar Tage später das „Kreuzige ihn“. Das ist nun mal das Leben. Man soll sich bei allem Feiern im Klaren sein, wie schnell Stimmungen und Urteile umkippen können. Wie hochverehrte Leute von heute auf morgen tief fallen können. Das lernt man auch mit dem Palmsonntag.

Redaktion

Warum geht Jesus überhaupt nach Jerusalem? Was war sein Impuls?

Propst Feldmann

Uns als Christen ist es nicht mehr ganz nachvollziehbar, dass ein Ort das Zentrum des Glaubens ist. Ein Ort. Für den Muslim ist das klar. Das ist Mekka. Punkt. Für den Juden ist absolut klar, dass das Jerusalem ist. Die schöne, besungene Stadt.

Redaktion

Für Jesus war Jerusalem also mega bedeutend.

Propst Feldmann

Ihm war klar: Jerusalem und der Tempel – das ist das Zentrum des Glaubens. Da musste man hin, wenn man etwas bewirken wollte und sich legitimiert wissen wollte.

Redaktion

Jesus wollte sich beweisen?

Propst Feldmann

Er will nicht „sich“ beweisen, sondern uns beweisen, dass er der Messias ist. Es gibt eine gesunde (biblische) und eine krankhafte (psychotische) Sehnsucht nach Jerusalem. Bei Wikipedia können sie über das Jerusalem-Syndrom nachlesen, es bezeichnet eine psychische Störung, von der jährlich etwa 100 Besucher der Stadt Jerusalem betroffen sind. Vergleichbares gibt es übrigens in Hollywood. Manche Orte strahlen etwas aus, was sogar verblenden kann. Für Jesus war allerdings leuchtend klar: Jerusalem ist für den gläubigen Juden der Ort der Begegnung mit Gott. Im Tempel wohnt Gott. Für uns Katholiken ist das vielleicht vergleichbar mit dem Verständnis eines Tabernakels.

„Uns als Christen ist es nicht mehr ganz nachvollziehbar, dass ein Ort das Zentrum des Glaubens ist.“

Propst Michael Feldmann

Juden und Muslime haben einen zentralen Ort ihres Glaubens. Uns Christinnen und Christen ist so etwas nicht bekannt – vergleichbar ist aber der Tabernakel.

Redaktion

Also sehnt sich Jesus danach, Gott, seinem Vater, im Tempel zu begegnen.

Propst Feldmann

Wir sehen ja schon wie Jesus als Zwölfjähriger im Tempel ist und sagt: Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist? Wenn man es so lesen will, ist der Einzug in Jerusalem die Fortsetzung dessen. Der reife Mann vollendet, was er als Zwölfjähriger begonnen hat.

Redaktion

Kennen Sie diese Sehnsucht auch?

Propst Feldmann

Ich bin einige Male im Heiligen Land und Jordanien gewesen. Das Heilige Grab, die Geburtskirche in Bethlehem, der Berg Tabor, der Berg Nebo – das sind Sehnsuchtsorte. Dort habe ich auch geistliche Höhepunkte erlebt.

Redaktion

Inwiefern?

Propst Feldmann

Sie feiern eine Messe und lesen die Texte, die an den Orten spielen, wo sie gerade sind. Sie feiern in Bethlehem die Weihnachtsmesse. Draußen glühende Hitze, drinnen „Stille Nacht, Heilige Nacht“. Das werden Sie nie vergessen. Eine Frau aus der Gemeinde sagte zu mir: „Jedes Mal, wenn ich einen biblischen Text lese, weiß ich: Da waren wir auch“. Da wird die Bibel lebendig.

Redaktion

Und wie spüren sie die Sehnsucht im Alltag in Werl? Ist da noch Sehnsucht, nach 37 Jahren Priester?

Propst Feldmann

Es ergibt sich aus der Philosophie: Je näher ich einer Sache komme, umso weiter entferne ich mich. Je näher ich dem Ziel komme, umso deutlicher wird mir bewusst, wie ich davon entfernt bin. Deswegen ist für mich einer der schönsten Sätze der Frömmigkeit aus der Benediktsregel: „Der Mönch muss ein wahrhaft Suchender sein“. Das gilt nicht nur für Mönche, das gilt für jeden Christen.

© vvoe / Shutterstock.com
Blick auf das gelobte Land vom Berg Nebo in Jordanien

Für Propst Michael Feldmann sind einige Orte Sehnsuchtsorte – darunter auch der Berg Nebo in Jordanien. Hier und an anderen Orten im Heiligen Land und Jordanien hat er geistliche Höhepunkte erlebt.

Redaktion

Wonach suchen Sie gerade?

Propst Feldmann

Pater Theo Schmidkonz SJ hat meinem Semester 1986 die Exerzitien zur Priesterweihe gehalten. Gerne erinnere ich mich bei der Gottsuche an eines seiner Gebete:

Gott, Ich suche eine Hand, die mich hält und ermutigt, die mich beruhigt und beschützt.

Ich taste nach einer Hand, die mich begleitet und führt, die mich heilt und mich rettet.

Ich brauche eine Hand, die stark ist und mich trägt, die mich ergreift, nicht mehr losläßt.

Ich möchte eine Hand, die es gut mit mir meint, die sich zärtlich um mich legt.

Ich sehne mich nach einer Hand, der ich mich restlos anvertrauen kann, die treu ist, die mich liebt.

Ich suche eine große Hand, in die ich meine kleinen Hände und auch mein Herz hineinlegen kann, eine Hand, in der ich geborgen bin – ganz.

Redaktion

Und wie suchen Sie danach?

Propst Feldmann

In dem, was ich so täglich tue. Ich halte mich pingelig an das Stundengebet, das ich mit der Diakonenweihe versprochen habe. Das ist so wie beim Eiskunstlauf: Es gibt Pflicht und Kür. Man kommt nie zur Kür, wenn man die Pflicht vernachlässigt. Außerdem gehört für mich dazu, Gastfreundschaft und Freundschaften zu pflegen. Auch außerhalb des Klerus und der Kirche. Nehmen sie als Beispiel Kardinal Marx, der am Sonntag einen Gottesdienst mit queeren Gläubigen in München gefeiert hat. Da wird es viele geben, die deswegen verschnupft sind. Aber es ist doch richtig, auch mit diesen Menschen einen Gottesdienst zu feiern und ein Zeichen zu setzen: Ihr gehört dazu.

Redaktion

Palmsonntag ist der Anfang vom Ende, der Weg in die Kar- und Ostertage. Hätte Jesus nicht einfach weiter heilen und Menschen begeistern können, anstatt nach Jerusalem zu gehen und gekreuzigt zu werden?

Propst Feldmann

Menschen heilen und inspirieren können der Dalai Lama oder Schamanen auch. Vielleicht sogar besser. Der Glaube an Jesus Christus geht darüber hinaus. Das Wesentliche unseres Glaubens ist die Auferstehung. Alles andere ist nachrangig. Die Deutung des Lebens, das, was als Sinn des Lebens gesucht wird, ergibt sich von Ostern her. Deswegen ist Palmsonntag als Eintritt in die Kar- und Ostertage ein Schlüssel für das Verständnis: Heute „Hosanna“, morgen „Kreuzige ihn“, dann Auferstehung.

Redaktion

Sie sagen: Der Sinn des Lebens erschließt sich von Ostern her. Wie denn?

Propst Feldmann

Indem ich an die Auferstehung Christi glauben kann. Dass einer den Tod besiegt hat, der erst tot war. Daher bekommt mein Leben den Sinn auf Ewigkeit, auf Zukunft, über das eigene Sterben hinaus.

Redaktion

Wie spielt das für sie persönlich eine Rolle?

Propst Feldmann

Mit zunehmenden Alter spüre ich eine zunehmende Gelassenheit vor dem Ende. Ich glaube nicht, dass mit dem Tod alles vorbei ist. Dafür bin ich durchaus dankbar. So alt bin ich ja auch noch nicht, aber ich habe schon viele Menschen beerdigt, die durchaus jünger waren als ich. Im Übrigen gilt nach wie vor die Pascal‘sche Wette: Wenn du an Gott glaubst, kannst du nur gewinnen. Und wenn es nicht so ist, dann merkst du es nicht.

Redaktion

Vielen Dank für das Gespräch.

Ein Beitrag von:
Redakteur

Tobias Schulte

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