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„Das ist ein Problem aus der Mitte der Gesellschaft“

Ein Gespräch mit Beraterin Rita Schlottmann zum Thema häusliche Gewalt

Am 25. November 2019 wurde der „Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“ begangen. Gewalt gegen Frauen – für Rita Schlottmann von der Beratungsstelle Belladonna des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) gehört dieses dunkle Kapitel zu ihrer täglichen Arbeit. Sie berät Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind. Und räumt im Gespräch mit manchem Vorurteil auf, das in vielen Köpfen stecken mag.

Wenn Weihnachten näher rückt, beginnt für die Beratungsstelle Belladonna eine intensive Zeit. „Es gab heute vier neue Anfragen, zwei davon haben mit häuslicher Gewalt zu tun“, so Rita Schlottmann. „Das ist leider normal.“ In einem Zeitungsartikel habe sie einmal gelesen, dass Weihnachten in vielen Familien weniger das „Fest der Liebe“, sondern mehr das „Fest der Hiebe“ sei. Eine Beschreibung, die sie aus ihrer 30jährigen Berufserfahrung heraus in vielen Fällen bestätigen könne.

“Häusliche Gewalt kommt in allen Schichten vor”

„Häusliche Gewalt ist ein Problem aus der Mitte der Gesellschaft und kommt in allen Schichten vor“, stellt die Diplom-Sozialarbeiterin und Familientherapeutin fest. Nach bundesweiten Zahlen bezögen 70 Prozent der betroffenen Frauen ein eigenes Einkommen, ein Drittel sogar ein mittleres bis hohes Einkommen. 60 Prozent hätten einen mittleren bis hohen Schulabschluss und einen qualifizierten Beruf gelernt. Von den Tätern besäßen nur drei Prozent weder Schul- noch Berufsabschluss. Außerdem hätte die große Mehrheit keinen Migrationshintergrund.

„In 90 Prozent der Fälle ist der Partner der Frau der Täter“, so Rita Schlottmann. Meist handele es sich um narzisstische Persönlichkeiten, denen es allein um die eigenen Bedürfnisse gehe und die ein Verlangen nach Kontrolle und Dominanz kennzeichne. „Übrigens: Der Satz ‚Mir ist die Hand ausgerutscht‘, den man von Täterseite oft hört, stimmt so nicht“, erklärt die Beraterin. „Es ist ein bewusster Prozess, die Täter steuern den Abbau ihrer Aggression: wie fest sie zuschlagen und wie die Misshandlung auszusehen hat – zum Beispiel damit andere die Verletzung nicht sofort sehen.“

“Der Täter zerstört systematisch die Selbstachtung”

Es gebe Warnzeichen für drohende Gewaltanwendung. „Der Partner versucht, seine Partnerin zu isolieren, die sozialen Kontakte zu verringern, sie dazu zu überreden, nicht zu dem Familientreffen zu gehen oder sich mit Freunden zu treffen. In einem nächsten Schritt kommen dann zuerst Eifersüchteleien und dann schließlich Formulierungen im Befehlston hinzu: ‚Du bleibst hier, du gehst da nicht hin‘, zum Beispiel“.

Betroffene Frauen lebten durchschnittlich sieben Jahre lang in einer Gewaltsituation. „Sie können die Gewaltausbrüche ihrer Partner nicht kontrollieren. Es ist, als ob sie fortwährend über ein Minenfeld laufen, auf dem jederzeit eine Granate explodieren kann“, macht Rita Schlottmann anschaulich. „Eine Gewaltbeziehung bleibt nicht ohne Folgen. Zu der körperlichen Gewalt kommen noch verbale Erniedrigungen hinzu, die zutiefst verletzen. Der Täter zerstört systematisch die Selbstachtung, und das Opfer traut sich immer weniger zu.“

Verweist die Polizei den gewalttätigen Partner aus dem Haus, haben die Frauen nach dem Gewaltschutzgesetz zehn Tage lang Zeit, den Verweis beim Gericht bis zu einem halbes Jahr zu verlängern – ansonsten kehrt der Partner zurück. „Diese Frist ist äußerst knapp bemessen“, ist die Beraterin überzeugt. „Die Frauen sind in einer absoluten Schocksituation und oft erst einmal nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Das müssen sie in der Regel erst wieder lernen.“

Wenn Frauen von sich aus zur Beratung kämen, um Hilfe für die geplante Trennung zu suchen, seien Schutz und finanzielle Sicherheit zunächst einmal das wichtigste. “Offen geäußerte Trennungswünsche können Opfer in eine gefährliche Situation bringen“, so Rita Schlottmann. „Wir klären die Frauen über Schutzmaßnahmen auf, welche Ämter und Behörden sie aufsuchen müssen, damit sie und gegebenenfalls auch ihre Kinder sicher und materiell abgesichert sind.“ Erst danach könne man damit beginnen, mühsam die Selbstwertschätzung wieder aufzubauen, die im Verlauf der Gewaltbeziehung extrem minimiert worden sei.

“Wir wissen nur von der Spitze des Eisberges”

Rita Schlottmann sieht  den Auftrag der Beratungsstelle darin, die betroffenen Frauen dabei zu unterstützen, ihre Ressourcen und Kräfte wiederzuentdecken und Warnzeichen zu beachten. „Häufig stellen betroffene Frauen fest: Ich habe vieles sowieso allein gemacht, Kinder, Beruf, Haushalt. Es wird ihnen bewusst, was sie alles allein geschafft haben, und sie richten den Blick auf das, was sie können. Damit steigt ihre Selbstsicherheit wieder. Und das ist entscheidend, damit Frauen nicht wieder in Gewaltsituationen geraten.“

Kinder seien seit etwa zehn Jahren als Betroffene häuslicher Gewalt in den Fokus gerückt. „Selbst wenn sie nicht direkt von der Gewalt betroffen sind : Kinder werden durch die dauerhafte Spannung, die zwischen dem Paar herrscht, geschädigt“, stellt Rita Schlottmann fest. „Die Kinder fallen in KiTas und Schulen durch ein massives Bedürfnis nach Aufmerksamkeit auf. Der Balanceakt des Opfers, Gewalteskalationen zu vermeiden, bindet immense Kraft. Ressourcen, um den Kindern die notwendige Wertschätzung entgegenzubringen, sind stark beeinträchtigt.”

Für die Arbeit mit betroffenen Kindern könnte die Beratungsstelle Belladonna ebenso eine weitere Fachkraft gebrauchen wie für die Präventionsarbeit, etwa an Schulen. Auch für die reguläre Beratertätigkeit würden sich die beiden Halbtagskräfte und eine weitere Beraterin mit 15  Stunden über zusätzliche Ressourcen freuen: Der vorhandene Beratungsbedarf könne nur mit einer Warteliste bewältigt werden.

„Wir müssen außerdem davon ausgehen, dass wir nur von der Spitze des Eisbergs wissen“, so Rita Schlottmann. Die Scham vieler Frauen und auch Drohungen der gewalttätigen Partner verhinderten, dass viele sich Hilfe suchen. Doch es gebe auch Hoffnungszeichen: „Das Thema ist in der Öffentlichkeit nicht mehr tabuisiert. Im Vergleich zu früher trauen sich viel mehr Frauen, die erlittene Gewalt öffentlich zu machen. Es ist eine langsame Entwicklung, aber eine stetige.“

Auch das Paderborner Metropolitankapitel setzte gestern ein weithin sichtbares Zeichen gegen "Gewalt an Frauen" - der Hohe Dom zu Paderborn war ganz in orange-farbenes Licht getaucht. Foto: Throenle.

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