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Erzbistum Paderborn
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Die pastorale Chance der Stadt

Tagung „Kirche in der Stadt“ mit Professor Dr. Matthias Sellmann von der Ruhruniversität Bochum

Voraussichtlich bis 2025 sollen die bisherigen Pastoralverbünde in den Städten Bielefeld, Hamm und Paderborn-Innenstadt jeweils einen gesamtstädtischen Pastoralen Raum bilden. Für die Hauptabteilung Pastorale Dienste im Erzbischöflichen Generalvikariat war dies jetzt Anlass, die haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus diesen Pastoralverbünden zu der Tagung „Kirche in der Stadt“ nach Paderborn ins Forum St. Liborius einzuladen. Hauptreferent der Tagung war Professor Dr. Matthias Sellmann, Inhaber des Lehrstuhls für Pastoraltheologie an der Ruhruniversität Bochum und Leiter des Zentrums für angewandte Pastoralfoschung (ZAP). Im Interview gibt er Auskunft über die Chancen und Herausforderungen von “Kirche in der Stadt”.

Redaktion

Warum eine Tagung mit dem Thema „Kirche in der Stadt“? Das ist doch eigentlich nichts Neues, dass es Kirche in der Stadt gibt…

Prof. Dr. Matthias Sellmann

In der Planung des Erzbistums sollen die Städte Bielefeld, Paderborn und Hamm als kommunale Gebilde die Identifikationsgrößen für die Pastoral werden. Und das gab es tatsächlich noch nicht, jedenfalls nicht in jüngerer Vergangenheit. Die Idee ist also, dass die kommunale Zugehörigkeitsgröße jetzt auch die Größe für die Pastoral wird. Das ist eine Idee, die ich sehr begrüße. Es heißt dann nicht mehr: „Wir sind hier die Kirche von St. Franziskus in Bielefeld“ oder „von St. Theresa in Hamm“, sondern: „Wir sind die Kirche in Bielefeld“, „Wir sind die Kirche in Paderborn“.

Redaktion

Welche Chancen sehen Sie darin?

Prof. Dr. Matthias Sellmann

Ich sehe die Chance, dass die Wahrnehmung von Kirche für weniger kirchennahe Menschen einfacher wird. Insider wissen natürlich, zu welcher Gemeinde sie gehören, aber die meisten Menschen in Hamm, Bielefeld oder Paderborn vermutlich nicht. Meine Hoffnung ist also, dass es einfacher wird, sich an Kirche zu wenden. Wenn ich zum Beispiel meine Großmutter beerdigen muss, mein Kind taufen will, heiraten will usw., dann muss es leicht sein zu erfahren, zu wem ich dann gehen muss. Ich glaube weiterhin, dass es für die Seelsorgerinnen und Seelsorger eine Hilfe ist, zu sagen: So wie wir Bürgerinnen und Bürger sind von Paderborn, Hamm und Bielefeld, so sind wir auch Seelsorger in und mit diesen Städten.

“Theologisch können wir mit den Spitzenaussagen des letzten Konzils sagen, dass eine Kirche ihren Gott gar nicht erkennen kann ohne die Menschen, mit denen zusammen sie Kirche sein will. Das heißt: Ohne die Stadtbewohner, ohne die Nichtreligiösen, sogar ohne die Antireligiösen kann Kirche gar nicht erkennen, wer Gott heute ist, was Gott heute plant und auch wie man ihm begegnen kann. Diese kulturelle Wende ist eine enorme Weiterentwicklung der Theologie, sie führt in den Stil einer lernenden Pastoral.” (Prof. Dr. Matthias Sellmann)

auf dem Foto von links: Stephan Lange, Theresa Reinke (beide Hauptabteilung Pastorale Dienste), Prälat Thomas Dornseifer, Professor Dr. Matthias Sellmann, Tobias Heinrich (Hauptabteilung Pastorale Dienste).

Redaktion

Sehen Sie auch Herausforderungen?

Prof. Dr. Matthias Sellmann

Es gibt immense Herausforderungen, weil wir bisher noch gar nicht gewohnt sind, unsere inneren kirchlichen Strukturen für die Außennutzung transparent aufeinander abzustimmen. Meine Idee wäre: Es gibt für eine Stadt wie etwa Hamm eine einzige Telefonnummer, die ich anrufen und z.B. fragen kann, wo im Norden am Ostersonntag ein Gottesdienst stattfindet und welche Öffnungszeiten das Pfarrbüro im Westen hat. Wenn da jemand am Telefon sein soll, der antworten kann, muss vorher sehr viel und verbindlich abgestimmt worden sein. Dieses Maß an Zusammenarbeit haben wir im Augenblick noch gar nicht, mussten es bisher auch vielleicht nicht haben. Eine zweite Herausforderung ist die Größe dieser Gebilde, die da entstehen. Wenn man es nicht schafft, diese Größe mit einer nahräumlichen Erfahrbarkeit von Kirche zusammenzubringen, dann kann es für die Leute auch zu groß werden. Wichtig ist daher, wie nützlich man die Größe und wie erlebbar man die Nähe macht. Das muss Kommunalpolitik zum Beispiel ja auch können.

Redaktion

Bielefeld, Paderborn und Hamm sind sehr unterschiedliche Städte. Welche Rolle spielt diese Unterschiedlichkeit?

Professor Dr. Matthias Sellmann:

Eine sehr große! Denn Kirche sollte immer das Gesicht der Leute tragen, mit denen sie leben will. Und da Bielefeld, Hamm und Paderborn sehr unterschiedliche Städte sind, sollten auch die Ortskirchen, die sie bilden, sehr unterschiedlich sein. Wenn Kirche nach dem Muster 08/15 funktioniert, verliert sie das, was sie ausmacht: das konkrete Gesicht der Menschen, die sie bilden.

Redaktion

Was kann Kirche der Stadt geben?

Professor Dr. Matthias Sellmann

Kirche kann den Bürgerinnen und Bürgern einer Stadt die Entdeckung anbieten, wie großartig es ist, wenn man für sein eigenes Leben Religion entdeckt hat. Als Kirche wird man dafür werben, dass es die christliche Religion ist. Aber generell sollte Kirche in einer Stadt die Institution sein, die dafür wirbt, welchen Reichtum ein Leben annehmen kann, wenn man seinen eigenen weltanschaulichen Stil findet. Ich habe eben im Vortrag eine Parallele aufgezeigt: Wie würde man denn als Sportverein eine Stadt bereichern? Indem Sportvereine einer Stadt den Reichtum eines Lebens in Bewegung, im Team usw. weitergeben. Entsprechend kann Kirche den Reichtum religiöser Lebensgestaltung anbieten.

“Was ich von der Tagung positiv mitnehme, ist die Ermutigung, über unkonventionelle Ideen nachzudenken, verbunden mit der Tatsache, dass man sich diese nicht unbedingt selbst ausdenken muss. Professor Dr. Sellmann nannte ja Beispiele aus anderen gesellschaftlichen Gruppierungen, von denen Kirche sich inspirieren lassen kann. Ein zweiter Gedanke, den ich mitnehme: Müssen wir in den einzelnen Verbünden, die in einem Stadtgebiet zusammenkommen, jeweils alles einzeln anbieten, oder gibt es bestimmte Angebote, etwa bei der Sakramentenspendung, die man zentral anbieten könnte? Ich denke zum Beispiel an das Sakrament der Ehe: Es könnte in der Stadt ein Team geben, das sich um die Trauungswünsche kümmert. Sicher auch sinnvoll: Es gibt in der Stadt eine Telefonnummer, bei der ich als Katholik oder als Suchender und Fragender anrufen kann, um die zumindest eine Auskunft zu erhalten, die mir weiterhilft.”

(Prälat Thomas Dornseifer zur Tagung “Kirche in der Stadt”)

Redaktion

Umgekehrt gefragt, was kann die Stadt der Kirche geben?

Prof. Dr. Matthias Sellmann

Das ist die genauso wichtige Frage. Theologisch können wir mit den Spitzenaussagen des letzten Konzils sagen, dass eine Kirche ihren Gott gar nicht erkennen kann ohne die Menschen, mit denen zusammen sie Kirche sein will. Das heißt: Ohne die Stadtbewohner, ohne die Nichtreligiösen, sogar ohne die Antireligiösen kann Kirche gar nicht erkennen, wer Gott heute ist, was Gott heute plant und auch wie man ihm begegnen kann. Diese kulturelle Wende ist eine enorme Weiterentwicklung der Theologie, sie führt in den Stil einer lernenden Pastoral. Außerdem hat die Stadt natürlich Kontakte zu bieten, Ausspielungsflächen, öffentliche Plätze, Lokalzeitungen und so weiter, auch das gibt die Stadt der Kirche. Aber eigentlich kann sie ihr im obigen Sinn vor allem Gott geben. Und das ist es doch wohl worum es eigentlich geht.

Redaktion

Kennen Sie „Best-Practice-Beispiele“?

Prof. Dr. Matthias Sellmann

Da gibt es viele Beispiele, zum Beispiel in Hannover. Der dortige Fußballverein Hannover 96 stieg aus der Ersten Bundesliga ab, das war für viele sehr unglücklich, für manche sogar direkt existenzbedrohend. Die Citypastoral von Hannover hat damals einen riesigen Tapeziertisch mitten in die Fußgängerzone gestellt. Da konnte man einfach reinschreiben, was man fühlt und was es bedeutet, dass Hannover nicht mehr erstklassig ist. Die Citypastoral bot einfach ein Ventil. Eine andere Sache habe ich in Chicago kennen gelernt, inzwischen gibt es sie auch in Deutschland: das Aschekreuz auf der Straße. Zu Aschermittwoch gehen Seelsorger in die Fußgängerzone und bieten das Aschekreuz Leuten an, die etwa an der roten Ampel warten. Das hat mir auch immer gut gefallen, weil es kraftvoll die eigene katholische Identität ausdrückt und trotzdem von den Stadtbewohnern nicht als übergriffig oder peinlich empfunden wurde. Ein anderes Beispiel aus Bonn: In Bonn liegt die Kirche der Citypastoral schräg gegenüber von einem großen Kino. Es gab eine Zusammenarbeit: Wenn das Kino verstörende Filme zeigte, öffnet die Kirche, um einen stillen Raum zu bieten, einen Trostraum vielleicht auch, in dem man sich wieder fangen konnte. Solche überraschende, kreative Allianzen bringen die pastorale Chance der Stadt auf den Punkt.

Redaktion

Was müssen Menschen mitbringen, die in der Stadt in der Seelsorge arbeiten?

Prof. Dr. Matthias Sellmann

Sie sollten schlicht gerne in ihrer Stadt leben. Mir fällt auf, dass wir jedenfalls unserer Sprache nach immer noch stark ländliche Wünsche in die Stadt hinein tragen. Die meisten citypastoralen Stationen werben immer noch damit, dass sie Oasen sind. Damit wird mal eben die ganze Stadt zur Wüste erklärt – ein negatives Bild. Seelsorgerinnen und Seelsorger in der Stadt sollten Leute sein, die gerne ins Theater gehen, gerne in der Fußgängerzone Eis essen, gerne auch zu politischen Meetings gehen – also die Stadt nutzen. Ich glaube, sie brauchen auch ein erhöhtes Maß an Kommunikationsfähigkeit. Ich glaube auch, in Städten sollte es multiprofessionelle Teams geben, also Teams, in denen nicht nur theologische oder religionspädagogische Berufe zusammenarbeiten, sondern auch Menschen aus den Feldern Sozialarbeit, Mediengestaltung, Engagementförderung, Technik und Verwaltung. Da braucht man natürlich auch eine andere Teamkultur. Und letztens: In der Stadt musst Du vernetzen können, Allianzen bilden und gemeinsame Kampagnen vorschlagen. Wer nicht gegen Dich ist, ist für Dich!

Wie erlebten die Teilnehmenden die Tagung “Kirche in der Stadt”? Ein Gespräch mit Regina Beissel, Gemeindereferentin in Bielefeld

Redaktion: Die Stadt Bielefeld wird demnächst ein Pastoraler Raum. Welche Gefühle verbinden Sie mit dieser Aussicht?

Regina Beissel: Eigentlich weckt diese Aussicht keine Gefühle in mir. Ich glaube nämlich, dass sich nicht so viel ändern wird. Wir versuchen schon seit einigen Jahren, in die Stadt hinein zu denken, haben Projekte, die stadtweit ausstrahlen sollen. Wir haben  eine Homepage, die so konzipiert ist, dass die anderen beiden Pastoralverbünde problemlos dazu kommen können. Das sind erste Schritte. Von daher sehe ich das ganze gelassen.

Redaktion: Welche Chancen sehen sie darin, dass die Kirche in Bielefeld enger zusammenrückt?

Regina Beissel: Wir haben einen noch größeren Fundus verschiedener Begabungen und Professionen. Ich glaube auch, dass es eine Chance sein wird, als Kirche klarer erkennbar zu sein. Es geht dann beispielsweise um die „Kirche in Bielefeld“ und nicht um einen Pastoralverbund Bielefeld-Mitte-Nord-West, worunter sich die Menschen wenig vorstellen können.  Als katholische Kirche in Bielefeld haben wir ein klareres Profil.

Redaktion: Sehen Sie auch Herausforderungen?

Regina Beissel: Wir müssen als hauptberufliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen lernen, die Unterschiedlichkeiten eines Pastoral-Teams zu tragen, manchmal auch zu ertragen: die unterschiedlichen Kirchenbilder, die unterschiedlichen Visionen, die unterschiedlichen Fähigkeiten und Charismen. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit mit anderen Christen und Christinnen. Zudem geht es um einen entschiedenen Paradigmenwechsel: Also weniger: „Wie gewinnen wir neue Mitglieder für unsere Kirchengemeinden?“, sondern den Zufallsbegegnungen vertrauen, von denen Professor Sellmann sprach, und sagen: „Ja, wir bieten Religion für die Stadt Bielefeld” – wie immer die Bürger*innen ihre Religiosität dann leben – da gibt es neben den Kirchengemeinden verschiedene Modelle. “ Eine besondere Möglichkeit sehe ich in den Kasualien – Beerdigungen, Hochzeiten etc. – da müssen wir qualitativ hochwertig sein.

Redaktion: Wie bereichern sich Stadt und Kirche?

Regina Beissel: Für mich ist das kein Wechselspiel. Ich bin in der Stadt, bin also Bielefelderin, und ich bin dort Seelsorgerin. Auch das sagte Professor Sellmann: Zwischen Stadt und Kirche gibt es keine Polarität, sondern ich bin als Mitglied der Kirche Bielefelderin oder eben Bielefelderin katholischen Glaubens.

Redaktion: Wie stellt sich Kirche in der Stadt Bielefeld auf?

Regina Beissel: Neben den Kirchengemeinden gibt es drei verschiedene Projekte: das Citykloster, die Gemeinschaft Sant’Egidio und gast & haus, wofür Pastor Herbert Bittis und ich verantwortlich sind. Wir versuchen dort, neue Wege zu gehen. Am Anfang haben wir sehr viel angeboten, die Angebote wurden zum Teil gut besucht, zum Teil weniger. Wir möchten jetzt, gerade im Bereich der Kasualien, noch intensiver und professioneller auf die Menschen zugehen, die nicht in den gemeindlichen Strukturen zu finden sind. Unter diesem Aspekt fand ich den Vortrag heute sehr hilfreich.

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