Professor Meyer zu Schlochtern hob in seiner Begrüßung die eigene ästhetische Bildsprache hervor, die Lev Silber entwickelt habe, um Menschen zu fotografieren, für die Fotografie streng genommen Sünde bedeutet, da nur Heilige auf einem Bild „verherrlicht“ werden dürften. Die Fotografien dokumentierten für den Betrachtenden auf der einen Seite die religiösen Traditionen einer bis 1905 streng verfolgten Glaubensgemeinschaft, auf der anderen Seite berühren sie durch Portraits, die in sich ruhende, glückliche Menschen zeigt – trotz Verfolgung, Flucht und einem mühevollen Leben im Verborgenen.
Flucht als einziger Ausweg
Dr. Johannes Oeldemann, Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn und zugleich Vizepräsident der deutsch-russischen Gesellschaft Paderborn, informierte in seinem Vortrag über die Spaltung der russischen Orthodoxie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Anhänger der griechisch-orthodoxen und der russisch-nationalen Glaubenspraxis. Zar und Patriarch setzten die griechisch-orthodoxen Traditionen mit aller Macht durch. Den Bewahrern der früheren geistigen Ideale – den Altritualisten oder Altgläubigen – blieb nur die Flucht in entlegene Gebiete oder ins Ausland. Erst mit dem Toleranzedikt des Zaren im Jahr 1905, so führte Dr. Oeldemann aus, konnten sie ihre Religion frei ausüben, bis mit der Oktoberrevolution die Verfolgung erneut einsetzte. Neben den priesterlosen Gemeinden, die Lev Silber fotografiert hat, entwickelten sich auch Gemeinden mit Priestern. Eine der größten existiert heute in Moskau. Hier findet man im Gegensatz zu den priesterlosen Gemeinden auch junge Familien mit Kindern, die diesen Glauben praktizieren.