Welche Lerneffekte ergeben sich aus der Coronavirus-Pandemie und wo weist die Krise auf Probleme hin, die schon länger bestehen? Um diese und weitere Fragen ging es am Samstag bei der Online-Fachtagung des Christlich-Sozialwissenschaftlichen Arbeitskreises der Kommende Dortmund, dem Sozialinstitut des Erzbistums Paderborn.
„Eine Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.” Mit diesem Zitat von Max Frisch begrüßte Erzbischof Hans-Josef Becker die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Vorgestellt und diskutiert wurden von den teilnehmenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern interdisziplinäre Perspektiven im Zusammenhang mit der Pandemie.
„Impfungen für alle“
Zugeschaltet aus dem Vatikan, stellte Peter Kardinal Turkson, Präfekt des Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen, die Arbeit der Vatikan-Kommission zu COVID-19 vor. Im Dialog mit den lokalen Kirchen vor Ort gehe es darum, die Bedürfnisse der Menschen zu erfahren, um gezielt helfen zu können. Zentrale Herausforderungen seinen die Zunahme von Armut, Arbeitslosigkeit und der ungleiche Zugang zu Bildung und öffentlichen Gesundheitsdiensten. „Alle Menschen auf der Welt müssen die Möglichkeit bekommen, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen“, forderte Kardinal Turkson.
Auf diese Notwendigkeit wies auch der Epidemiologe Prof. Dr. André Karch hin. Je mehr das Virus in der Welt sei, desto größer werde die Wahrscheinlichkeit, dass sich neue Varianten entwickelten. Während es in Europa aktuell einen guten Fortschritt beim Impfen gebe, seien in Afrika die Impfquoten extrem niedrig. Der Impffortschritt sei aber entscheidend für die Bekämpfung der Pandemie.
Fragen der Gerechtigkeit
Über die Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt sprach Prof. Dr. Berthold Vogel, Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts an der Universität Göttingen. In diesem Zusammenhang bezeichnete er die Kirchen mit ihren Sozialverbänden als einen wichtigen Akteur, wenn es darum gehe, eine Gesellschaft zu bewahren, die Solidarität und das Gemeinwohl schätze. Debatten über Gerechtigkeit würden infolge der Pandemie wieder zunehmen.
Das juristische Spannungsfeld zwischen der Abwehr von Eingriffen des Staates in die Grundrechte auf der einen Seite und der Verpflichtung des Staates zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite erläuterte Juniorprofessor Dr. Stephan Gräf. Der Rechtsstaat habe auch in der Pandemie funktioniert und es gebe kein „Notstandsrecht“, wie von Kritikern gelegentlich behauptet, lautete sein Fazit.
Pläne für Katastrophen gefordert
Gesundheitsökonom Prof. Dr. Dirk Sauerland von der Universität Witten/Herdecke stellte fest, dass das deutsche Gesundheitssystem im Normalmodus zwar gut funktioniert, auf den pandemischen Krisenmodus aber schlecht vorbereitet war. Notwendig seien künftig unter anderem mehr Pläne und Übungen für Katastrophenfälle, eine strategische Vorratshaltung und mehr Anpassungsflexibilität.
Erzbischof Hans-Josef Becker dankte abschließend für den wissenschaftlichen Austausch. Die kommende Herbsttagung des Christlich-Sozialwissenschaftlichen Arbeitskreises ist für den 12. und 13. November 2021 in Paderborn geplant. Thematisch soll es dann um den Klimawandel und die „ökologische Krise“ gehen.
Hintergrund: Christlich-Sozialwissenschaftlicher Arbeitskreis
Der Sozialwissenschaftliche Arbeitskreis der Kommende Dortmund wurde 1984 von Kardinal Degenhardt und dem damaligen Kommende-Direktor Dr. Reinhard Marx gegründet. Er tagt zweimal jährlich auf Einladung des Erzbischofs von Paderborn. Dem Arbeitskreis gehören international renommierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Theologie, Sozialethik, Soziologie, Politikwissenschaft, Ökonomie, Recht und Medizin an.