In dem Schreiben „Dilexi te“ von Papst Leo XIV. über die Liebe zu den Armen geht es nicht um Fragen der Baukultur oder der kirchlichen Immobilienverwaltung. Dennoch liegt es nahe, nach den geistlichen Bezügen und möglichen Orientierungen zu fragen, die sich daraus für das Erzbistum Paderborn und seinen Umgang mit kirchlichen Gebäuden ergeben.
„Kirchliche Gebäude sollen dem Leben dienen“
Frau Matery-Meding, Papst Leo XIV. schreibt in seiner neuen Exhortation „Dilexi te“ (dt. „Ich habe dich geliebt“) über die Liebe zu den Armen. Welche Bedeutung hat dieses Schreiben für Ihre Arbeit im Bereich Bauen des Erzbischöflichen Generalvikariates?
Auch wenn das Schreiben auf den ersten Blick nichts mit Architektur oder Immobilienmanagement zu tun hat, berührt es uns unmittelbar. Wenn der Papst sagt, die Kirche nehme ihre „erhabenste Haltung ein, wenn sie sich hinabbeugt, um sich der Armen anzunehmen“, dann gilt das auch für das, was wir bauen, erhalten oder verändern. Kirchliche Gebäude sind kein Selbstzweck. Sie sollen Orte, Ausdruck und Werkzeug der Liebe Gottes sein – besonders gegenüber denen, die sonst leicht übersehen werden.
Unser Auftrag ist es, Räume zu schaffen und zu erhalten, die den Menschen dienen: als Orte des Glaubens, der Begegnung und der Solidarität. Wir arbeiten dafür, dass diese Räume lebendig bleiben oder neue, sinnvolle Nutzungen finden, sofern dabei die Würde der Räume gewahrt wird, etwa durch soziale, kulturelle oder diakonische Initiativen. So bleibt kirchlicher Raum auch künftig Raum für Leben.
Wie kann man sich das konkret vorstellen? Welche Rolle spielt dabei die Immobilienstrategie des Erzbistums Paderborn?
Unsere Immobilienstrategie hilft uns, verantwortungsvoll mit den uns anvertrauten kirchlichen Gebäuden umzugehen, insbesondere mit Kirchen und Pfarrheimen. Besitz verpflichtet – das hat der Papst in „Dilexi te“ sinngemäß bekräftigt, auch wenn er gar nicht über Gebäude spricht. Für uns bedeutet das: Wir prüfen jedes Gebäude daraufhin, ob es weiterhin dem kirchlichen Auftrag dient und mit pastoralen Angeboten gefüllt werden kann. Das geschieht in enger Beratung mit den Kirchengemeinden, denen die Gebäude gehören und die über sie zu entscheiden haben.
Daneben suchen wir auch den Dialog mit der breiten Öffentlichkeit, öffentlichen Partnern, Kommunen und in der Ökumene. Entscheidend ist, dass wir gemeinsam nach Lösungen suchen, die ökonomisch, ökologisch und sozial tragfähig sind.
Nicht jedes Gebäude wird in seiner jetzigen Form erhalten bleiben können. Aber jedes Gebäude soll – soweit es möglich ist – seinen Dienst für die Menschen behalten oder in neuer Form wiederfinden. Dabei denken wir immer auch generationengerecht, denn Entscheidungen, die wir heute treffen, wirken weit in die Zukunft hinein. Auch morgen müssen junge Menschen Räume und Möglichkeiten finden, um das kirchliche Leben ihrer Zeit zu gestalten.
Herr Klöter, Sie leiten den Bereich Pastorale Dienste. Welche Bedeutung hat das Papst-Schreiben aus Ihrer Sicht für das kirchliche Leben im Erzbistum Paderborn?
„Dilexi te“ ruft uns in Erinnerung, dass Kirche immer Beziehung bedeutet – zu Gott und zu den Menschen. Auch wenn das Schreiben nicht direkt über Gebäude spricht, erinnert es uns daran, wofür diese stehen. Unsere Gebäude, besonders die Kirchen, sind sichtbare Orte dieser Beziehung. Sie sind Räume, in denen Glaube gelebt, Gemeinschaft erfahren und Solidarität konkret wird.
Mir ist wichtig, dass wir dabei alle Generationen und Gruppen im Blick behalten. Kinder und Jugendliche brauchen offene, gestaltbare Räume, in denen sie sich ausprobieren können. Ältere Menschen brauchen hingegen Orte der Vertrautheit und Geborgenheit. Und auch jene, die der Kirche fernstehen, sollen sich eingeladen fühlen, dort Begegnung zu erfahren.
Entscheidend ist diese Offenheit: Wir wollen nicht von einer „Streichliste“ her denken, sondern von den tatsächlichen und möglichen Bedürfnissen der Menschen. Manches mag ungewohnt sein, manches neu. Aber genau das eröffnet Entwicklungsräume, Aussichten und Gelegenheiten. Werden kirchliche Gebäude auch für innovative, generationenübergreifende oder kooperative Nutzungen geöffnet, entstehen über die herkömmliche Nutzung hinaus Orte für Begegnung und Austausch, die dennoch durch und durch christlich und im Sinne der Kirche sind.
Wie lassen sich diese pastoralen und baulichen Perspektiven miteinander verbinden?
Indem wir gemeinsam hinschauen und uns von den Bedürfnissen der Menschen leiten lassen. Bauen in der Kirche bedeutet nicht nur, Mauern zu erhalten, sondern auch, Haltungen zu erneuern. Bauliche, pastorale und finanzielle Entscheidungen gehören zusammen. Sie sind drei Seiten derselben Verantwortung.
Manchmal bedeutet das, sich von Gebäuden zu trennen. Doch weniger Besitz kann mehr Sendung bedeuten, wenn er frei macht für Nähe, Dienst und Menschlichkeit. Zugleich wollen wir vorhandene Räume so nutzen, dass sie tatsächlich für die Kirche von heute und morgen gebraucht werden. Das verlangt nach kreativen, realistischen und gemeinschaftlichen Lösungen. Eine dieser möglichen Lösungen sind flexible und multifunktionale Mehrfachnutzungen von Gebäuden, wie zum Beispiel temporäre Einbauten von Gemeinderäumen in Kirchen. Hier kann unter einem Dach Gottesdienst gefeiert werden und Gemeindeleben stattfinden. Wunderbare Konzepte entstehen, wenn aus der Notwendigkeit von Reduzierung eine neue Qualität entsteht.
Genau dieser Prozess stößt viele gute Gespräche an. Wenn wir darüber nachdenken, wofür wir Räume wirklich brauchen, entsteht auch geistlich etwas Neues. Die Diskussion über Gebäude führt uns zu der Frage: Was ist uns als Kirche eigentlich wichtig?
In diesem Sinne verstehe ich das Schreiben des Papstes als Ermutigung. „Dilexi te“ lädt uns ein, unsere Orte und unsere Haltung zu prüfen und immer wieder neue Räume zu schaffen, in denen Gottes Liebe erfahrbar wird. Das kann in der vertrauten Kirche geschehen, aber auch in einer umgenutzten Immobilie oder in Kooperation mit anderen Partnern, die unsere Werte teilen.
Wie wollen Sie den vielen Anforderungen an kirchliche Gebäude und den hohen Ansprüchen einer vielfältigen, lebensnahen und innovativen Pastoral gerecht werden – und das vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen wie Finanzen, Personal und Säkularisierung sowie anstehender Veränderungen wie dem Bistumsprozess und der Pastoraltransformation? Und was erhoffen Sie sich dafür?
Mit Realismus und Hoffnung zugleich. Wir wissen, dass wir nicht alles erhalten können, aber wir können verantwortungsvoll gestalten. Das bedeutet, Prioritäten zu setzen und tragfähige Lösungen zu entwickeln, die das kirchliche Leben vor Ort ermöglichen. Dabei hilft ein offener Dialog mit allen Beteiligten – mit den Gemeinden, Verbänden, Initiativen, Fachleuten und gesellschaftlichen Partnern.
Ich wünsche mir, dass wir den Mut behalten, Entscheidungen zu treffen, die langfristig tragen und die Menschen immer im Blick haben. Das ist unsere dienende Aufgabe und der Zweck aller kirchlichen Gebäude. Unsere Verantwortung gilt nicht nur dem Heute, sondern auch den Generationen, die nach uns kommen.
Ich wünsche mir, dass wir inmitten der Veränderungen unsere gemeinsame Leidenschaft für das Evangelium bewahren. Pastoral und Bauen sind keine Gegensätze, sondern zwei Ausdrucksformen derselben Sendung. Gebäude können Räume der Erneuerung sein, wenn sie als Orte gelebter Gemeinschaft verstanden werden.
Die Herausforderungen sind groß, das stimmt. Aber wenn wir sie gemeinsam mit Professionalität, Glauben und Vertrauen annehmen, dann kann Kirche auch in einer veränderten Welt lebendig bleiben. „Kirche im Wandel“ bedeutet nicht weniger Kirche, sondern anders Kirche – mitten unter den Menschen.
Doch bei allen Chancen des Wandels erleben viele Gläubige den Verlust ihrer Kirche oder ihres Pfarrheims als tiefen Einschnitt. Was bedeutet dieser Abschied für die Menschen – und für die Kirche selbst?
Das ist eine sehr ernste Frage. Wenn ein vertrauter Ort verschwindet, geht immer ein Stück Geschichte, Erinnerung und Identität verloren. Das schmerzt, und diesen Schmerz dürfen wir nicht kleinreden. Er zeigt, wie eng Glauben und Raum verbunden sind. Deshalb versuchen wir, solche Abschiede bewusst zu gestalten – als geistliche Prozesse und nicht nur als organisatorische Schritte. Wo möglich, bleiben Zeichen der Erinnerung bestehen. Kirche ist Erinnerung, aber auch Aufbruch.
Wie kann Beteiligung in diesen Prozessen tatsächlich aussehen, die über reine Information hinausgeht?
Beteiligung braucht Zeit und Offenheit – und sie hat ihre Grenzen. Aber sie ist unverzichtbar. In den örtlichen Immobilienstrategieprozessen gibt es darum das Bemühen, alle Interessierten möglichst früh einzubeziehen, ihre Ideen und Sorgen zu hören und sie ernst zu nehmen. In Workshops und Gesprächen entstehen oft kreative Vorschläge, auf die nur die Engagierten vor Ort kommen können. Natürlich geht es am Ende auch um das Setzen von Prioritäten. Doch wenn Entscheidungen schwierig sind, ist ein ehrlicher Dialog die Voraussetzung dafür, dass sie mitgetragen werden können.
Sie sprechen von „Räumen, die den Menschen dienen“. Was aber geschieht mit den Armen, Einsamen oder Suchenden, wenn solche Räume verschwinden?
Genau hier entscheidet sich, ob wir als Glaubensgemeinschaft heute wirklich eine lebensnahe Kirche sind. Wenn eine Kirche schließt, darf die Nähe nicht enden. Wir suchen deshalb gezielt neue Orte der Begegnung, die manchmal kleiner und einfacher, vielleicht sogar mobil sind, aber näher am Leben. Häufig arbeiten wir dabei mit sozialen oder kommunalen Partnern zusammen. Entscheidend ist, dass wir uns zu den Menschen hin bewegen und nicht von ihnen weg. Das ist der Kern von „Dilexi te“: eine Kirche, die sich selbst verarmt, um den Armen nahe zu sein.
Trotzdem: Wenn kirchliche Orte verschwinden, verändert sich auch die Glaubenspraxis. Wie lässt sich verhindern, dass die Kirche unsichtbar wird?
Sichtbarkeit entsteht nicht allein durch Architektur, sondern durch Haltung und Beziehung. Wir verlieren zwar Gebäude, können aber zugleich andere Formen der Präsenz gewinnen: in der Nachbarschaft, auf Plätzen, in Schulen oder Kulturhäusern. Dort, wo Menschen sich begegnen, kann Kirche geschehen. Ich sehe darin eine Chance, neu zu lernen, was es heißt, mitten unter den Menschen zu sein.
Wie behalten Sie in diesem Prozess die Balance zwischen Trauer, Verantwortung und Hoffnung?
Indem wir ehrlich bleiben. Wir benennen Verluste, aber wir verlieren die Hoffnung nicht. Wandel tut weh, doch er kann auch reifen lassen. „Dilexi te“ erinnert uns daran, dass Gottes Liebe bleibt – auch wenn sich Strukturen verändern. Unsere Aufgabe ist es, dieser Liebe neue Räume zu eröffnen – in Gebäuden, aber vor allem in Beziehungen. Und wir wissen: Das ist nicht immer leicht, aber es lohnt sich.