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© Kamil Macniak / Shutterstock.com

Möchte Gott, dass alle Menschen vegetarisch leben?

Themenspecial „Es geht! Gerecht.“ Streitgespräch über die Frage, welche Rolle der Glaube dabei spielt, was auf den Teller kommt

Fleisch und tierische Produkte gelten als klimaschädliche Lebensmittel. Um sie herzustellen, werden deutlich mehr Treibhausgase emittiert als zum Beispiel bei Gemüse. Der Einsatz gegen den Klimawandel fängt also bei der eigenen Ernährung an. Wäre es also am besten, wenn sich alle Menschen vegetarisch oder vegan ernähren würden? Und was denkt wohl Gott darüber? Mit diesen Fragen sind wir auf zwei junge Menschen zugegangen, die darüber ganz unterschiedlich denken.

Lisa-Marie Kaiser war zum Zeitpunkt des Interviews Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dortmund am Lehrstuhl für Systematische Theologie. Ihr Lieblingsthema: Tiertheologie. Sie lebt vegetarisch.

Im Interview trifft sie auf Katrin Schuchardt, die Waldwirtschaft und Umwelt in Freiburg studiert. Sie isst Fleisch. Gebürtig kommt sie aus Nörde, wo sie ehrenamtlich bei der Katholischen Landjugendbewegung aktiv ist. Sie ist auf einem Bauernhof mit Milchviehzucht aufgewachsen und macht gerade einen Jagdschein.

Redaktion

Wie geht es euch?

Katrin Schuchardt

Ich bin gerade gestresst. Ich schreibe übermorgen eine Klausur, auf die ich noch nicht so gut vorbereitet bin.

Lisa-Marie Kaiser

Ich bin gerade gar nicht gestresst, weil ich nächste Woche Dienstag den letzten Tag an der Uni haben werde, und danach ab Mai ins Referendariat gehe.

 

 

 

„In meinen Augen geht es darum, Leben zu fördern und Leben zu schützen, wo es möglich ist.“

Lisa-Marie Kaiser

 

 

Redaktion

Was gibt oder gab es heute zu essen?

Kaiser

Ein asiatisches Gericht mit Erdnuss-Tofu. Eigentlich bin ich kein Tofu-Fan, aber es war ziemlich lecker.

Schuchardt

Ich hatte auch ein veganes Mittagessen: ein Reis-Curry mit Kichererbsen. War lecker.

Redaktion

Wir möchten über die Frage sprechen: Möchte Gott, dass wir alle vegetarisch leben? Vorab stelle ich die Frage allgemeiner: Wie möchte Gott, dass wir leben?

Schuchardt

Ich glaube: Er möchte, dass wir verantwortungsvoll mit der Schöpfung und gut mit unserer Freiheit umgehen.

 

 

„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Nutztieren auch gut gehen kann und sie ein wertvolles Leben haben.“

Katrin Schuchardt

 

Kaiser

In meinen Augen geht es geht darum, Leben zu fördern und Leben zu schützen, wo es möglich ist.

Redaktion

Warum ist das so?

Kaiser

Für mich ist ein Kompass, dass wir Gott im christlichen Glauben als den lebendigen Gott bezeichnen. Gott liebt das Leben. Er schafft das Leben und schafft es immer wieder neu. Stichwort: Auferstehung. Überall, wo Leben und Lebendigkeit bedroht sind, sehe ich Christinnen und Christen in der Verantwortung, sich dagegen einzusetzen.

Redaktion

Wo seht ihr Leben und Lebendigkeit bedroht?

Kaiser

In der klassischen industriellen Massentierhaltung. Tiere sterben. Ihre Lebendigkeit wird begrenzt. Aber es fängt schon damit an, dass Tiere nur einen bestimmten, oft sehr begrenzten Raum haben, in dem sie sich bewegen können. Sie können ihre Bedürfnisse nicht ausleben. Eigentlich leben sie nicht, sie vegetieren so vor sich hin.

© I Love Coffee dot Today / Shutterstock.com
Ein Schweinestall, in denen mehrere Schweine in einer Box zusammen leben. Dieser bietet den Tieren schon mehr Platz und Beschäftigung als ein klassischer Kastenstand.

Den Tieren bleibt in vielen Ställen nicht viel Platz für Bewegung. Schweine vermeiden es eigentlich ihren Futterplatz als „Toilette“ zu nutzen – dies ist in solchen Ställen nicht möglich. Im Kastenstand können sich die Tiere dann gar nicht mehr Bewegen und verweilen an einer Stelle.

Schuchardt

Das gilt aber nicht für alle Höfe mit Nutztierhaltung, sondern nur für tierunwürdige Haltungsformen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Nutztieren auch gut gehen kann und sie ein wertvolles Leben haben.

Redaktion

Woran machst du das fest?

Schuchardt

Viele Landwirte pflegen und hegen ihre Tiere mit viel Aufmerksamkeit und Liebe. Das ist auch ganz logisch. Eine Kuh gibt mehr Milch, wenn es ihr gut geht. Deswegen versucht man sicherzustellen, dass es dem Tier gut geht. Das sehe ich zum Beispiel auch, wenn wir die Boxen für Kälber neu eingestreut haben und die Jungtiere darin rumspringen und einfach Spaß haben. Das sind Momente, in denen ich Lebendigkeit spüre.

© Oleksandr Yuchynskyi / Shutterstock.com
Ein Kalb liegt in einer Box, in der es aufgezogen wird.

Den jungen Tieren geht es gut. In ihren mit Stroh ausgelegten Boxen springen sie umher und versprühen den Hauch von neuem Leben.

Redaktion

Was glaubt ihr: Möchte Gott, dass wir alle vegetarisch essen?

Kaiser

Die Frage setzt voraus, dass ich aus göttlicher Perspektive sprechen und Normen aufstellen könnte. Da werde ich misstrauisch, weil das historisch gesehen oft missbraucht wurde. Ich habe die Frage für mich umformuliert: Hat es für mich als Christin eine Bedeutung, dass wir Tiere töten und essen? Da würde ich sagen: Ja. Es ist nicht egal, ob wir Fleisch und tierische Produkte essen oder nicht. Ich würde nicht sagen, es ist besser kein Fleisch zu essen. Aber für Christinnen und Christen kann es in meinen Augen nicht gleichgültig sein.

Redaktion

Wo ist da der Unterschied?

Kaiser

Besser ist ein schlechter Ausdruck, weil er nach Wettbewerb klingt. Ich würde eher sagen: Tiere nicht zu töten und nicht zu essen kann ein prophetisches Zeichen sein.

Redaktion

Was meinst du damit?

Kaiser

Der christliche Glaube trägt für mich die Verheißung in sich, dass die Logik von Fressen und Gefressen werden nicht das letzte Wort haben muss. Wir hoffen auf ein Leben nach dem Tod, das heißt ein Leben, das eben nicht mehr dem Zwang des Todes unterliegt. Das können wir natürlich nicht selbst herstellen. Am Ende müssen wir immer Leben vernichten, um selbst leben zu können. Auch wenn es nur der Salat ist, den ich esse. Auf Fleisch zu verzichten kann also zeigen: Ich versuche, aus dieser Logik auszusteigen und Leid zu reduzieren. Ich glaube, dass es auch anders sein kann.

Schuchardt

Ich glaube: Es kann nicht von Gott gewollt sein, unverhältnismäßig viel zu konsumieren. Also mega viel Fleisch zu essen. Aber es ist nicht das größte Problem. Wir bauen auch Gebäude dahin, wo eigentlich Natur ist. Wir zerstören mit all unserer Industrie, mit Autos und Chemikalien die Schöpfung. Erheben uns über alle anderen Lebewesen. Da passiert vieles nicht in einem verantwortungsvollen Rahmen.

Kaiser

Da sehe ich gerade Christinnen und Christen in der Pflicht, zu zeigen, dass es doch anders sein kann. Es ist für mich ganz grundlegend am Christentum, dass wir in einer Spannung leben: zwischen dem, wie es halt ist und der Verheißung, wie es sein soll. Dadurch können wir die Wirklichkeit in einem anderen Licht sehen. Als eine Welt mit Brüchen und auch unausgeschöpften Möglichkeiten. Deshalb sehe ich mich als Christin und Theologin in der Pflicht, zu fragen: Muss es so sein, wie es ist? Kann es nicht auch anders sein?

Redaktion

Katrin, Lisa-Marie hat das Stichwort prophetischer Auftrag genannt. Was kannst du damit anfangen?

Schuchardt

Ich sehe einen prophetischen Auftrag darin, dass junge Menschen wieder mehr Wertschätzung für Lebensmittel verankern können. Dass ihnen die Arbeit, die dahintersteckt, bewusst wird. Dass sie Fleisch von Tieren essen, die ein lebenswertes Leben hatten. Gerade in der Fastenzeit können wir darauf achten, was wir essen und vielleicht entdecken, wo wir maßlos geworden sind. Ich kenne einige Leute, die scherzhaft sagen: „Ich faste Gemüse, das esse ich sowieso nicht“.

© margouillat photo / Shutterstock.com
Zu einer ausgewogenen Ernährung gehören vor allem pflanzliche Lebensmittel. Insgesamt müssen Lebensmittel mehr wertgeschätzt werden und bewusster genossen werden.

Zu einer ausgewogenen Ernährung gehören vor allem pflanzliche Lebensmittel. Insgesamt müssen Lebensmittel mehr wertgeschätzt werden und bewusster genossen werden.

Redaktion

Du hast das Stichwort lebenswertes Leben genannt. Hat eine Kuh bei euch auf dem Hof oder ein Schwein, was nach einem Dreivierteljahr zur Salami verarbeitet wird, ein lebenswertes Leben?

Schuchardt

Wenn der Landwirt alles dafür tut, dass es dem Tier gut geht, dann denke ich schon, dass das ein lebenswertes Leben war. Auch wenn ein Schwein nur ein dreiviertel Jahr lebt.

Kaiser

Ich gebe Katrin Recht, dass es einen Unterschied macht, wie das Tier gehalten wird. Trotzdem steht am Ende, dass wir Tieren das Leben nehmen. Als wäre das selbstverständlich. Und das, obwohl wir wissen, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier gibt. Dass die Grenze fließend ist. In Anbetracht dessen ist es ähnlich, wie wenn ich sagen würde: „Ein Kind mit acht Jahren hatte ein gutes Leben, also reicht es dann auch“. Da würde unsere Intuition mit Recht sagen: Das geht gar nicht.

Redaktion

Ist die Grenze zwischen Mensch und Tier denn fließend?

Kaiser

Biologisch und evolutionär gesehen gibt es keine zementierte Grenze zwischen Menschen und Tieren. Wissenschaftler suchen immer noch nach dem einen Merkmal, das den Menschen von allen anderen Tieren unterscheidet. Kooperationsfähigkeit? Eine Art Vernunft? Eine Form von Sprache? Bei allen Versuchen gab es immer auch ein Tier, das das in gewissem Maße auch kann oder aber Menschen, die das eben nicht können. Der Übergang zwischen Menschen und Tieren ist also fließend – ohne, dass alles dasselbe ist.

Schuchardt

Das ist jetzt eine ziemlich spitze Frage, aber wenn das wirklich für dich so ist: Schlägst du dann auch keine Mücken tot?

Kaiser

Tatsächlich versuche ich Mücken und Käfer rauszusetzen. Da, wo ich Leben schonen oder erhalten kann, möchte ich das machen. Aber da kommt man auch an Grenzen. Ich hatte schon eine Borreliose, weil ich eine Mücke nicht erschlagen habe. Für viele wirkt das wirklichkeitsfremd.

Schuchardt

Ich finde: Dann bist du deiner Linie auch treu.

Redaktion

Katrin, sind für dich die Übergänge zwischen Mensch und Tier auch fließend?

Schuchardt

Für mich gibt es schon einen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Und auch zwischen Nutztier und Haustier.

Redaktion

Geht ihr inspiriert aus unserem Gespräch heraus?

Schuchardt

Lisa-Maries Meinung hat mich schon inspiriert. Ich kann ihre Denkweise nachvollziehen, aber nicht teilen. Vorher fand ich es manchmal albern, wenn Leute sagen, dass sie auf Fleisch verzichten, weil dafür ein Tier leiden musste. Dann kann man auch Fleisch von Tieren kaufen, die gut gehalten wurden.

Kaiser

Ich fand das Gespräch spannend. Katrin ist näher dran, was es bedeutet, Tiere zu halten. Trotzdem sind wir in grundlegenden Fragen anders unterwegs. Ich finde es auch nicht albern, wenn Menschen nicht möchten, dass Tiere für sie leiden müssen. Ich glaube: Wir haben lange vergessen, auf unsere Intuition und unser Gefühl zu vertrauen. Es sagt zum Beispiel viel aus, dass es Menschen nicht gut sehen können, wenn Tiere geschlachtet werden. Dass sie dann das Gefühl haben: Das ist nicht richtig und nicht gut.

Redaktion

Vielen Dank für das Gespräch.

Ein Beitrag von:
Redakteur

Tobias Schulte

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