Darstellung von Anna und Maria in der Annenkapelle in Brakel
08.12.2022

Unbefleckte Empfängnis Mariens

Was es heißt, makellos zu sein – und was wir am Fest Mariä Empfängnis von Maria lernen können

von Theresa Oesselke

Wie oft ärgere ich mich, wenn mir mal etwas nicht gelingt. Ein Fehler passiert. Ich wünschte mir, doch besser zu sein. Perfekter. Fehlerfrei. Aber so sehr wir uns auch anstrengen würden, keiner von uns Menschen ist makellos. Mit einer Ausnahme: Maria. Sie war sündenfrei. Das feiert die Kirche heute am Fest Mariä Empfängnis. Ein sogenanntes Hochfest – also ein Fest des höchsten Ranges der kirchlichen Gottesdienstordnung, auf einer Stufe mit Weihnachten und Ostern. Es wird auch bezeichnet als „Unbeflecktes Empfängnis Mariens“. Oder wie es offiziell heißt: „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“. Klingt kompliziert. Wenn nicht aus heutiger Sicht sogar etwas befremdlich. Mariä Empfängnis ist vermutlich das missverstandenste Fest der Kirche. Was steckt dahinter? Und vor allem: Was kann Mariä Empfängnis für uns heute bedeuten, die wir nicht fehlerfrei sind?

Entstehung des Festes Mariä Empfängnis

Das Fest Mariä Empfängnis geht nicht auf ein biblisches Ereignis zurück, sondern auf eine Glaubensannahme der Kirche. Dabei ist die Festtradition aber viel älter als der festgelegte Inhalt. Der Termin von Maria Empfängnis ist vom älteren Fest der Geburt Mariens (8. September) neun Monate zurückgerechnet. Zuerst feierten Gläubige diesen Tag im 8. Jh. in der Ostkirche. Seit dem 11. Jh. gibt es das Fest auch im Westen. Im 14. Jh. hat sich Mariä Empfängnis dann allgemein durchgesetzt. Erst am 8. Dezember 1854 legte Papst Pius IX. den Inhalt dieses Festes verbindlich für die ganze Kirche fest.

Mariä Empfängnis – Das missverstandene Fest

Wenn man fragt, was hinter dem heutigen Fest Mariä Empfängnis steht, müssen zuerst einige Missverständnisse beseitigt werden. Es geht nicht darum, dass Maria auf wunderbare Weise entstanden wäre. Mit „unbefleckt“ ist nicht gemeint „ohne Geschlechtsverkehr“. Maria wurde wie jedes Kind von ihren Eltern, Joachim und Anna, gezeugt.

Dann denken viele, Mariä Empfängnis würde an die jungfräuliche Geburt Jesu erinnern. Dass Maria Jesus ohne Mann im Heiligen Geist empfangen hat. Der Beginn der Schwangerschaft mit Jesus. Auch das stimmt nicht.

Es geht beim Fest Mariä Empfängnis um eine besondere Eigenschaft von Marias Wesen. In Theologensprache: Maria war makellos. Als einziger Mensch frei von der Erbsünde. Papst Pius IX. hat im Jahr 1854 feierlich verkündet: „Die Lehre, daß die allerseligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis auf Grund einer besonderen Gnade und Auszeichnung von seiten des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erlösers der ganzen Menschheit, von jeder Makel der Erbsünde bewahrt blieb, ist von Gott geoffenbart und muß deshalb von allen Gläubigen fest und unabänderlich geglaubt werden.“ Das ist ein sogenanntes Dogma – also ein Glaubenssatz, der verbindlich für die ganze Kirche gilt. Aber was heißt das jetzt – frei von jeder Makel der Erbsünde? Übersetzt in eine einfachere Sprache, die jeder verstehen kann?

Ursünde und Erbsünde

Die Kirche glaubt, dass Maria frei von der Erbsünde war. Der Begriff Erbsünde ist eine missverständliche deutsche Übersetzung des Wortes „peccatum originale“. Also übersetzt eigentlich Ur-Sünde. Während im Deutschen mit dem Begriff Sünde normalerweise konkrete Taten und persönliche Verfehlungen gemeint sind, ist dem Wortsinn nach eigentlich „Trennung“ gemeint. Ur-Sünde meint dann die Trennung zum Ursprung und damit letztlich die Trennung von Gott. Ursünde meint, dass der Mensch nicht in dem vertrauensvollen Wissen lebt, dass Gott da ist.

Diese Ursünde wird dann zur Erbsünde, weil sie von den Menschen weitergegeben wird. Und zwar nach Ansicht der Kirche von Beginn der Welt an. In der bildreichen Sprache der Bibel ausgedrückt: Gott hatte Adam und Eva im Paradies verboten, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Indem sie das aber getan haben, haben sie sich selbst an die Stelle Gottes gesetzt (Gen 2-5). Das Ur-Vertrauen in Gott und auch den Mitmenschen ist damit verloren gegangen. Von da wird diese Trennung an alle Menschen weitergegeben.
Natürlich ist diese biblische Erzählung kein historischer Bericht. Die Bilder nähern sich dem Geheimnis des menschlichen Wesens und seiner Unperfektheit an.

Mit der Geburt Jesu beendet schließlich Gott selbst die Trennung zum Menschen. Jesus wird die Brücke für den Graben zwischen Gott und Mensch. Mit Jesus ist der Weg zur Gemeinschaft mit Gott wieder geöffnet. Die Beziehung zu Gott, die Maria immer hatte, verwirklicht sich für uns in der Taufe.

Maria - die Brücke zwischen Himmel und Erde

Dafür hilft ein Blick auf das Verhalten Marias. Konkret auf die biblische Szene mit dem Engel Gabriel, der Maria die bevorstehende Geburt ihres Sohnes Jesus verkündet (Lk 1, 26-38). Diesen Text hat die Kirche als Evangelium für das heutige Fest Mariä Empfängnis ausgewählt.
Maria kam aus einer einfachen Familie und lebte bescheiden in Nazareth. In den ärmlichen Mauern dieses kleinen Hauses wird sich die Geschichte Gottes mit den Menschen verändern: Der Engel verkündet Maria, dass sie ein Kind bekommen wird: Jesus. Gott will ihr seinen Sohn anvertrauen. Maria ist die Brücke zwischen Himmel und Erde. Und sie kann dies nur sein, weil sie ohne Erbsünde ist – sie ist nicht getrennt von Gott. Sie hat ihr Herz auf Gott ausgerichtet.

Maria spricht „Hier bin ich“ – das Schlüsselwort des Lebens

Daher kann Maria auf den Auftrag Gottes antworten: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn“. Einfach gesagt: „Hier bin ich“. Maria stellt sich ganz Gott zur Verfügung. Papst Franziskus sieht in dieser Antwort das Schlüsselwort des Lebens: „Es markiert den Übergang von einem horizontalen Leben, das auf sich selbst und seine Bedürfnisse ausgerichtet ist, zu einem vertikalen Leben, das auf Gott hin entworfen ist.“ Maria sagt dann noch weiter: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“. Sie ist ohne Einschränkungen offen für Gottes Willen. Sie lebt, indem sie sich Gott in allem anvertraut. Maria, die ohne Sünde geboren wurde und lebte, war vollkommen bereit für Gott.

Maria vertraut auf Gott

Aber das bedeutet nicht, dass das Leben für Maria einfach gewesen wäre. Im Gegenteil: der Engel verlässt sie. Maria ist mit ihrer schwierigen Situation alleine gelassen. Der Engel hat ihr zwar erklärt, wie sie durch den Heiligen Geist Mutter von Jesus werden wird, aber allen anderen nicht. Die Schwierigkeiten häufen sich: die Qual ihres Verlobten Josef, der überlegt, sich von Maria zu trennen; die bereits geschmiedeten Lebenspläne, aus denen nichts wird; das zu erwartende Gerede der Leute.

Auf Gott zu vertrauen heißt nicht, dass sich alle Probleme auf magische Weise lösen. Aber Maria ist sich sicher, dass mit Gott alles gut werden wird. Noch einmal Papst Franziskus: „Das ist die weise Haltung: nicht unabhängig von den Problemen zu leben, sondern Gott zu vertrauen und sich ihm alle Tage anzuvertrauen: Hier bin ich!“

Genau daran erinnert uns das heutige Fest Mariä Empfängnis. Es stellt uns Maria als Vorbild vor Augen. Auch wenn uns vermutlich kein Engel erscheinen und einen Auftrag von Gott verkünden wird, können wir offen sein für sein Wirken. Durch die Taufe sind auch wir aufgenommen in die Gemeinschaft mit Gott.

Wenn ich heute an Mariä Empfängnis auf Marias Leben und auf mein eigenes Leben als Christin blicke, kommen mir vor allem drei Fragen in den Sinn: Wann vertraue ich auf Gott? Wo habe ich Gottes Wirken in meinem Leben gespürt? Und: Kann auch ich - wie Maria - zu Gott sagen "Hier bin ich"?

»Das ist die weise Haltung: nicht unabhängig von den Problemen zu leben, sondern Gott zu vertrauen und sich ihm alle Tage anzuvertrauen: Hier bin ich!«

Papst Franziskus
über Maria beim Angelusgebet am 8. Dezember 2018

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