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Erzbistum Paderborn
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© Moritz Kröner / Erzbistum Paderborn

Kriegsgräber sollen als Mahnung erhalten bleiben

Kriegsgräber halten die Erinnerung an die Schrecken des Krieges wach. In Heggen kümmert sich eine Gruppe ehrenamtlich Engagierter um die Kriegsgräberstätte auf dem katholischen Friedhof. Im Mittelpunkt ihres Einsatzes stehen die Menschen.

Leise rieselt der Schnee auf die Gräber des katholischen Friedhofs in Heggen. Liegen bleibt der aber bei einem Grad über dem Gefrierpunkt noch nicht. Es ist ein kalter Novembernachmittag im Sauerland. Der Friedhof ist ein Platz, der fest im Dorfgeschehen verwurzelt ist. Hier trifft man sich, um an seine Liebsten zu denken. Um ein Pläuschen zu halten. Um die Gräber zu harken. Fernab der den Ortskern bestimmenden Hauptstraße ist er ein ruhiges Fleckchen Natur.

Heute ist der sonst so belebte Ort aber fast menschenleer. Thomas Pickart stellt gerade ein neues Grablicht in die Laterne eines der dort befindlichen 20 Kriegsgräber. Am Morgen haben bereits Engagierte aus der Gruppe das Laub von diesen besonderen Gräbern entfernt. In Heggen gibt es eine Gruppe Ehrenamtlicher, die sich um die Kriegsgräber kümmert. „Fast jeden Tag ist einer von uns hier und legt Hand an, wenn etwas getan werden muss“, sagt er. Zur Absprache gebe es eine Chatgruppe mit den momentan neun Engagierten. So werden die Dienste organisiert:  im Sommer Blumen gießen und zu Feiertagen neue Gestecke zur Kriegsgräberstätte bringen. Darüber hinaus gibt es jährlich zwei große Arbeitseinsätze, bei denen die Gräber bepflanzt und die Grabsteine gründlich gereinigt werden.

Neun Engagierte kümmern sich um Kriegsgräber

„Wir sind kein Verein, wir haben keine feste Bezeichnung. Wir sind eine Gemeinschaft von Interessierten, die die Kriegsgräber pflegen“, ordnet Pickart das Engagement der Gruppe ein. Sie selbst nennen sich einfach „Kriegsgräber Heggen“. Auf dem katholischen Friedhof in Heggen gibt es Kriegsgräber an zwei Stellen. Direkt am Eingang befinden sich 13 Gräber von Personen, die in und um Heggen herum gefallen sind. Während des Zweiten Weltkrieges in der zweiten Aprilwoche 1945 geriet der Ort beim Vorrücken der amerikanischen Truppen von Dünschede aus unter schweren Artilleriebeschuss. Allein in der Pfarrkirche St. Antonius Einsiedler schlugen 13 Granaten ein. Ein Stück des Weges Richtung Friedhofskapelle hinauf befinden sich sieben weitere Gräber von Soldaten, die aus Heggen stammen, im Kampf gefallen sind und deren Leichname zurückgebracht werden konnten. Diese Gräber wurden bisher von Angehörigen gepflegt, sind nun auch in die Obhut der Gruppe übergegangen. Und das macht einiges an Arbeit. Denn während eines kommenden Arbeitseinsatzes sollen die Grabsteine begradigt und neue Umrandungen gesetzt werden.

Einsatz, der Anklang findet

Das Gedenken an die Gefallenen und die Schrecken des Krieges ist in Heggen seit jeher ein lebendiges Thema. Der örtliche Schützenverein, der selbst Eigentümer und Instandhalter eines Ehrenmals für die 185 gefallenen und vermissten Heggener Soldaten neben der Pfarrkirche ist, betreibt seit Jahrzehnten eine Haustürsammlung für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., der die Pflege von Kriegsgräbern organisiert. Und das erleichtert den neun Engagierten auch ihren Einsatz, denn ein Teil davon bleibt im Ort für die Pflege der Gräber. Mit Unterstützung des Volksbundes konnten so bereits im unteren Bereich des Friedhofs die alten Grabumrandungen ersetzt, neue Schilder angebracht und die Grabsteine gereinigt und begradigt werden.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., kurz Volksbund, kümmert sich im Auftrag der Bundesregierung um deutsche Kriegsgräber. Dies umfasst 832 Kriegsgräberstätten in 45 Staaten. Hinzu kommt die Suche von vermissten deutschen Soldaten und das Aufklären ihrer Schicksale. In Deutschland ist die Kriegsgräberpflege eine Aufgabe der Kommunen und der Träger der jeweiligen Friedhöfe. Dort tritt der Volksbund häufig als informierende oder beratende Instanz ein. Der Verein ist zu 70 % auf Spendengelder, wie er sie auch durch die jährliche Sammlung des Schützenvereins Heggen erhält, angewiesen. „Jedes Kriegsgrab ist für uns, gerade mit Blick darauf, was im Moment auf der Welt passiert, ein Symbol dafür, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist und wir uns Mühe geben müssen unserer Gesellschaft im Frieden zusammenzuhalten“, sagt Jens Effkemann, Regionalgeschäftsführer des Volksbundes in Westfalen-Lippe (Foto). Daher sei gerade das Wachhalten der Erinnerung in der Jugend-, Schul- und Bildungsarbeit eine der wichtigsten Kernaufgaben des Volksbundes.

Fast alle Familien haben Kriegsopfer zu beklagen

Erstmals im Jahr 2016 kam die Idee auf, sich um die Kriegsgräber zu kümmern. Damals wucherten Bodendecker vor sich hin und Grabumrandungen sowie Grabsteine standen schief und krumm. Das störte Thomas Pickart und viele andere im Ort. Die Motivation die Gräber als würdige Erinnerungsstätte zu pflegen, gründe in den meisten Fällen auf persönlichen Verbindungen. So ist beispielsweise der Bruder von Pickarts Großmutter nicht von der Ostfront zurückgekehrt. „Jeder hat irgendwo einen in der Familie, der nicht mehr wiedergekommen ist und den er aus Erzählungen der Eltern oder Großeltern kennt.“ Damals seien die Gräber nicht in dem Zustand gewesen, den Verstorbene verdient haben. Dass daraus ein dauerhaftes Engagement würde, war jedoch am Anfang noch nicht abzusehen. Heute ist der Einsatz für die Kriegstoten in der Gruppe aber eine Selbstverständlichkeit geworden, die keiner mehr missen möchte. Gerade im Kontext vermehrt aufkommender Kriegsrhetorik, sei es wichtig, dass die Gräber direkt neben dem Eingang des Friedhofs als Mahnung in gutem Zustand erhalten bleiben, sind sich die Mitglieder der Gruppe einig. Im Zentrum des Einsatzes stehen jedoch konkret die dort beigesetzten Menschen. Jedem müsse der nötige Respekt entgegengebracht werden und dazu gehöre auch, dass man seine Ruhestätte nicht verwildern lasse, meint Pickart. „Diese Frauen und Männer haben damals ihr Höchstes im Krieg gelassen, ihr Leben.“ Dass der Krieg Leben raubt, daran müsse erinnert werden.

Schicksale, die berühren

„Der Friedhof ist in Heggen ein Ort der Gemeinschaft, nicht zum Gruseln“, sagt Thomas Pickart, der schon als Kind jeden Freitag seine Großmutter zum Gräberpflegen begleitet hat. Wenn die Heggener ihren Friedhof betreten, sind die ersten beiden Gräber, an denen sie vorbeigehen, die von Anna Kuhl, Katharina Etzbach und ihren Kindern. Die beiden Mütter waren ihren Kindern aus dem Osten nach Heggen geflohen und in der Schule untergekommen. Als die amerikanischen Truppen am 10. April 1945 den Ort und auch die Schule beschossen, wurden alle Vier getötet. Erst zwei Tage später kapitulierte das Dorf und für die Heggener war der Krieg beendet. Die Schicksale der Opfer sind gut dokumentiert. Bis auf einen unbekannten Soldaten sind alle Kriegsgefallenen, die in Heggen begraben sind, identifiziert und ihre Geschichten bekannt. Durch den Einsatz der Gruppe „Kriegsgräber Heggen“ können ihr Sterben und ihre Grabmäler weiterhin eine Mahnung ihres Schicksals und für den Frieden sein.

„Gott ist für den Verstorbenen zuständig, wir für sein Gedenken“

Bei der Pflege und dem Erhalt von Kriegsgräbern und anderen Denkmälern halten wir die Erinnerung an bestimmte Personen und Ereignisse wach. Doch was sagen diese Gepflogenheiten und unser Gedenken über uns als lebendige Gesellschaft aus? Das haben wir Prof. Dr. Werner Wertgen gefragt. Er ist Professor für Philosophie und Theologische Ethik an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho) in Paderborn.

Redaktion

Herr Prof. Dr. Wertgen, was sagen wir mit unserer Bestattungskultur aus?

Prof. Dr. Wertgen

Wenn man es atheistisch sieht, ist nach dem Tod nichts mehr da. Das ist wie eine Flamme, die ausgeht. Aus christlicher Sicht ist es so, dass der Körper keine belebte Sache mehr ist. Die Identität der Person kann aber in der Wirklichkeit Gottes weiterleben. Jeder Leichnam sollte würdevoll bestattet werden, aber die gesamte Bestattungskultur ist etwas, was wir Lebende für uns Lebende tun. Bestattungs- oder Erinnerungskultur heißt, dass die Hinterbliebenen Statements abgeben, Selbstvergewisserung betreiben und eigene Überzeugungen verdeutlichen. In unseren christlichen Bestattungsriten wird dabei unsere religiöse Hoffnung auf Vollendung bei Gott thematisiert. Das ist in diesem Zusammenhang der Sinn unserer christlichen Bestattungskultur. Für das Gebet an einen Verstorbenen als Akt der Nächstenliebe brauche ich eigentlich kein Grab und keinen Leichnam. Wir sind aber Menschen und haben Emotionen. Wir vergewissern uns unserer Solidarität vor Gott und unserem Glauben. Die Möglichkeit an ein Grab gehen zu können, ermöglicht Trauerarbeit und Bewältigung.

Redaktion

Welche Bedeutung hat der Erhalt von Kriegsgräbern?

Prof. Dr. Wertgen

Das ist ähnlich wie die Erinnerungskultur an andere Schreckensereignisse. So verstehe ich diese Erhaltung über die Zeit hinweg, dass wir uns als menschliche Gemeinschaft fühlen und das Leid der vergangenen Generationen nicht vergessen wollen. Diese Friedensmahnung ist dann auch etwas, was aus unserem christlichen Glauben entspringt. Aber auch wenn wir unser Gedenken dann auf bestimmte Verstorbene beziehen, tun wir es immer als lebendige Menschen als Appell an unsere Gegenwart und drücken damit unser Verständnis von Erinnerungskultur aus.

Redaktion

Wie verändert sich Erinnerungskultur?

Prof. Dr. Wertgen

Erinnerungskultur ist immer Ausdruck des Verständnisses in der Gegenwart. Auf alten Kriegsdenkmälern liest man häufig, dass es süß sei für das Vaterland zu sterben. Heute mahnen wir auf solchen Denkmälern vor den Grauen des Krieges. Gedenken sind immer eine Interpretation der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung, der eigenen Befindlichkeit. Mit Benennungen und auch mit der Pflege von Grab- und Ehrenmälern setzen wir Statements. In diesem Zusammenhang werden auch heute Plätze, Straßen oder Schulen umbenannt. Wir müssen uns immer wieder neu fragen: „Was möchte ich damit zum Ausdruck bringen, wenn wir diese Person ehren? Wer sind wir? Wer wollen wir sein?“ Und diese Gründe muss man stets angeben können. Gott ist für den Verstorbenen zuständig, wir für sein Gedenken.

Redaktion

Vielen Dank für das Gespräch.

Ein Beitrag von:
Redaktionsvolontär

Moritz Kröner

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