Sachlich statt emotional, fair statt verletzend: Mit diesem Anspruch hat der erste "Digitaldialog" des Diözesan-Caritasverbandes Paderborn jetzt den Versuch unternommen, die auch innerverbandlich nicht unumstrittene Verweigerung der Zustimmung zu einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag Altenpflege aufzuarbeiten. Mit dabei: die jeweiligen Sprecher der Dienstgeber- und Dienstnehmerseite der für die Entscheidung zuständigen Arbeitsrechtlichen Kommission (AK) des Deutschen Caritasverbandes, Norbert Altmann und Thomas Rühl. Beide sind Mitarbeiter der verbandlichen Caritas im Erzbistum Paderborn.
Zu Beginn des Digitaldialogs hatten die teilnehmenden Vorstände der 23 örtlichen Caritasverbände die Chance, die Abstimmung in der AK vom 25. Februar virtuell zu wiederholen - nach dem Motto: Wie hätten Sie entschieden? Ergebnis: Eine knappe Mehrheit würde die Entscheidung gegen die Allgemeinverbindlichkeit genauso treffen. Viele Teilnehmer signalisierten gleichzeitig Gesprächsbedarf über die Details, in deren tarifpolitischer Tiefe sich die wenigsten im Tagesgeschäft bewegen. Dabei auch im Blick: die ins Wanken geratene Balance zwischen Sozial- und Tarifpolitik sowie die Wahrung der Autonomie der Caritas-Kommissionsstrukturen. Was folgte, waren zweieinhalb Stunden intensive Diskussionen über das Für und Wider der Entscheidung, die, so Thomas Rühl, "einen Reputationsschaden für uns alle gebracht hat". Für Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig ist diese öffentliche Empörungswelle in seiner 30-jährigen Caritas-Dienstzeit beispiellos. Besonders ärgerlich: Es gab im Vorfeld keine gesamtverbandliche Strategie mit diesem Ergebnis kommunikativ umzugehen, und als es in der Öffentlichkeit bekannt wurde, keine positive Botschaft. "Wir sind kalt erwischt worden."
Die Bewertung dieses Tarifvertrages könnte unterschiedlicher nicht sein. Für die Dienstnehmerseite enthält dieser Vertrag lediglich Mindestentgeltsätze, eigene höhere Tarife seien davon nicht berührt und müssten laut Gesetz von den Pflege-Kostenträgern anerkannt werden. Die Dienstgeberseite hält dagegen, dass die Garantie der Refinanzierung von Tariflöhnen im Gesetz in einem Atemzug an den Grundsatz der Beitragssatzstabilität in der Pflegeversicherung gekoppelt sei. Wenn schon eine Gewerkschaft wie ver.di dieses niedrige Entgelt für angemessen hält, dann sollte sich auch die Caritas damit zufriedengeben, so befürchtet Norbert Altmann die Argumentation der Kostenträger.
Die jahrelange Erfahrung mit Vergütungsverhandlungen ließ auch beim Digitaldialog manche Vorstände am Optimismus der Dienstnehmerseite zweifeln, dass höhere Löhne auch mit einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag unterhalb des Caritas-Niveaus dauerhaft möglich sind. Der Tarifvertrag Altenpflege hätte dieses Arbeitsfeld in Deutschland zudem für lange Zukunft auf ein mittelmäßiges Vergütungsniveau fixiert - und das ohne weitere Elemente wie z. B. Altersvorsorge, Arbeitszeitregelungen oder Zulagen, so die Sorge von Caritas-Vorständen. Pflege hat jedoch etwas Besseres verdient!
Wie geht es weiter? Neben der Botschaft, dass es manchmal unausweichlich ist, auch Widersprüche in der Öffentlichkeit auszuhalten, wurden beim Digitaldialog auch konkrete Schritte aufgezeigt, was für die Caritas jetzt "dran ist". So gelte es, sich auf Bundesebene auf Instrumente wie die Mindestlohnkommission für die Pflege zu konzentrieren. 2022 stehen hier die Entscheidungen über neue Entgeltgrenzen an, die Neukonstituierung des paritätisch besetzen Gremiums ist schon von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil auf den Weg gebracht worden. In der Kommission, in der auch die Caritas mitwirkt, müssten die Stundensätze - auch mit Blick auf das geplante Lohnniveau des jetzt gescheiterten Tarifvertrages - rasch angepackt werden, hieß es beim Digitaldialog. Genauso wichtig sei es für den Verband, im Rahmen der Reform der Pflegeversicherung Lohndumping dauerhaft entgegenzutreten, indem nur noch tarifgebundene Träger als Leistungsanbieter zugelassen werden. Dazu liegt ein erster Gesetzentwurf von Bundesminister Jens Spahn auf dem Tisch, der jetzt mit den aufgeworfenen Aspekten weiterentwickelt werden müsse. "Wir werden uns dabei auch für eine Neujustierung des Finanzierungsrahmens in der Pflegeversicherung stark machen, so dass faire Löhne der Pflegekräfte auch für die Gesellschaft insgesamt tragfähig verortet werden", erklärte Diözesan-Caritasdirektorin Esther van Bebber.