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Erzbistum Paderborn
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Moraltheologische Überlegungen für die Notfall- und Intensivmedizin

Ein Beitrag von Prof. Dr. Peter Schallenberg von der Theologischen Fakultät Paderborn

Ein Beitrag von Prof. Dr. Peter Schallenberg vom Lehrstuhl für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät Paderborn

Knappe Beatmungsmaschinen und Intensivbetten gerecht verteilen – wie geht das? Wer soll beatmet werden und wer nicht? Gibt es eine Auswahl unter Notfallpatienten?

All das sind Fragen, mit denen Ärztinnen und Ärzte in der Corona-Krise konfrontiert werden können und Antworten suchen müssen. Professor Dr. Peter Schallenberg, Lehrstuhlinhaber für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät Paderborn, bezieht dazu im nachfolgenden Beitrag Stellung.

Erwägungen aus christlicher Sicht

Aus einigen Epizentren der Corona-Pandemie wird berichtet, dass die Ärzte stündlich entscheiden müssen, wen sie an eine für das Überleben notwendige Beatmungsmaschine legen. Dabei hört man, dass “die Alten” aus Nützlichkeitserwägungen gegenüber Jüngeren hintenangestellt würden. Was sagen wir aus christlicher Sicht und als christlicher Träger, auch als Caritas, angesichts dieser Berichte zum Beispiel aus Italien? Das sind erschütternde Aussagen, wenn sie so stimmen. Aber es gibt eine klare moraltheologische Aussage und Handlungsmaxime. Papst Johannes Paul II. hat das 1995 in seiner Enzyklika „Evangelium Vitae“ (Nr. 66), in der es um den Wert und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens geht, deutlich gemacht. Hier heißt es:

Der Höhepunkt der Willkür und des Unrechts wird dann erreicht, wenn sich einige Ärzte oder Gesetzgeber die Macht anmaßen darüber zu entscheiden, wer leben und wer sterben darf. (…)  So wird das Leben des Schwächsten in die Hände des Stärksten gelegt; in der Gesellschaft geht der Sinn für Gerechtigkeit verloren und das gegenseitige Vertrauen, Grundlage jeder echten Beziehung zwischen den Menschen, wird an der Wurzel untergraben.

“Jeder Mensch hat die gleiche Würde. Und deshalb darf grundsätzlich nicht eine Person von intensivmedizinischer Behandlung abgeschaltet werden zugunsten einer anderen Person – es sei denn, die Ärzte halten den Sterbeprozess für unausweichlich begonnen und sehen keine Aussicht auf längeres Überleben.”

Prof. Dr. Peter Schallenberg

“Triage” nur in Ausnahmesituationen

Dies ist zunächst eine sehr grundsätzliche Aussage über das grundsätzliche gleiche Lebensrecht eines jeden Menschen, ganz unabhängig von seinen Vorerkrankungen oder seiner Überlebenschance. Die Aussage bezieht sich noch nicht direkt auf intensivmedizinische Maßnahmen am irreversiblen Lebensende. Dennoch kann von dieser Aussage der Enzyklika darauf geschlossen werden, dass ein jeder Mensch, unabhängig von Alter oder Gesundheitszustand, das unbedingte Recht auf eine gleiche optimale Gesundheitsversorgung hat. Daher kann es zu einer sogenannten „Triage“ (von französisch „trier“ für „aussuchen, sortieren“) aus katholischer ethischer Sicht nur in wenigen oder nur in Ausnahmesituationen kommen, und zwar:

Entweder, wenn zwei erkrankte Personen zeitgleich an einem intensivmedizinischen Behandlungsplatz ankommen und der Arzt auswählen muss, dann ist er frei in seiner Entscheidung und darf auswählen nach Kriterien der Überlebensprognose oder Heilungschance, denn hier liegt ein echter zeitgleicher Konflikt (Dilemma) vor, der nur durch eine beherzte Entscheidung des Arztes gelöst werden kann.

Oder – zweiter und häufigerer Fall außerhalb von klassischen Krieg- und Lazarettsituationen – dann, wenn ein Patient nach ärztlicher Diagnose in den irreversiblen Sterbeprozess eingetreten ist und ein ankommender Patient sich nicht in diesem Sterbeprozess befindet. Dann dürfte der Arzt sich für diesen ankommenden Patienten entscheiden, da es keine unbedingte Pflicht zur Lebensverlängerung um jeden Preis nach Beginn des Sterbeprozesses gibt.

Jeder Mensch hat die gleiche Würde

Was bedeutet das jetzt konkret in dieser Zeit, wo es möglicherweise auch in Deutschland zu einem Mangel an intensivmedizinischen Behandlungsplätzen kommen könnte? Man kann es noch einmal in ganz einfachen Worten sagen: Jeder Mensch hat die gleiche Würde. Und deshalb darf grundsätzlich nicht eine Person von intensivmedizinischer Behandlung abgeschaltet werden zugunsten einer anderen Person – es sei denn, die Ärzte halten den Sterbeprozess für unausweichlich begonnen und sehen keine Aussicht auf längeres Überleben. Es gibt nämlich keine Pflicht zur Lebensverlängerung um jeden Preis. Daher dürfte in einem solchen Fall die lebenserhaltende Maschine des Sterbenden abgeschaltet werden und zugunsten einer nicht sterbenden Person angeschaltet werden. Der Unterschied liegt in der Motivation: Einem kurz vor dem Sterben oder im Sterben befindlichen Menschen unnötiges Leid durch technische und künstliche Lebensverlängerung zu ersparen, kann gut sein. Aber ein Menschenleben gegen ein anderes abzuwägen und eine Lebensverlängerung abzubrechen zugunsten eines Patienten mit möglicherweise höherer Überlebenschance ist immer unmoralisch, da ein Leben so viel zählt wie ein anderes, auch angesichts knapper medizinischer Ressourcen. Grundsätzlich, außer in solchen seltenen Fällen der intensivmedizinischen Aussichtslosigkeit der weiteren Behandlung, gilt immer: first come, first served (erste Ankunft, erste Hilfe).

Es ist sittliche Pflicht, jedem Menschen in gleicher Weise zum Leben zu verhelfen

Der für manche naheliegende Gedanke, dass z.B. einer jungen Mutter mit Kindern eher geholfen werden müsste als einem 80-jährigen Menschen, ist ein rein vom Nützlichkeitsdenken, dem sogenannten Utilitarismus, bestimmtes Denken. Dem gegenüber steht der moraltheologische deontologische Ansatz, demgemäß es der sittlichen Pflicht entspricht, jedem Menschen in gleicher Weise zum Leben zu verhelfen.

Gilt dieser Ansatz denn für alle Menschen oder nur für Christen und christliche Einrichtungen der Medizin und der Pflege? Dieser auf Immanuel Kant zurückgehenden Ansatz der reinen Pflicht zur Hilfe, ohne Blick auf die Lebensumstände einer Person, gilt als natürliches Recht jedes Menschen für alle Menschen und ist kein christliches Sonderrecht. Darauf ruht unsere Gesetzgebung und unser Grundgesetz mit Art. 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Und das heißt: die Würde JEDES Menschen, unabhängig von weiteren Bestimmungen des Alters oder der Nützlichkeit, ist unantastbar.

Argumentationsskizze der DBK

Auch die Deutsche Bischofskonferenz hat zur Triage-Problematik eine Argumentationsskizze veröffentlicht. Sie kann auf der Internetseite der DBK nachgelesen werden:

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