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Unser Glaube
13. Februar 2020

Klima und Kirche – eine theologisch-zoologische Perspektive

Themenspecial "Klimawandel": Gastbeitrag von Markus Bürger

Themenspecial “Klimawandel”: Gastbeitrag von Markus Bürger

„Wenn aufgrund unseres Fleischkonsums Menschen aus Lateinamerika vertrieben werden von ihren Höfen, dass sie ins Elend und in die Armut getrieben werden, weil wir Kraftfutter brauchen für unser tägliches Fleisch auf unseren Tellern, dann kann man dieses Fleisch nicht mehr mit gutem Gewissen essen.“ (₁)

Anton Rotzetter, Mitbegründer des Institutes für Theologische Zoologie in Münster, verdeutlicht den Zusammenhang von Tierfutterproduktion, Umweltzerstörung und dem Ernährungsproblem in der sogenannten Dritten Welt. In Deutschland werden jährlich 750 Millionen Tiere geschlachtet. Der überwiegende Teil stammt aus der sogenannten Massentierhaltung, in der die Tiere schnell gemästet und daher fast ausschließlich mit günstigem, aus Lateinamerika importiertem Soja gefüttert werden. Dieser Weg scheint in einem global agierenden Wirtschaftssystem unumgänglich, da Deutschland bei der benötigten Futtermenge (1,7 Millionen Schlachtungen von Hühnern am Tag) bei weitem nicht genügend Kapazitäten hätte. Indes muss in Lateinamerika seit Jahren Regenwald weichen, damit dort unter anderem Soja-Plantagen für Tierfutter entstehen. Die Folgen sind dramatisch: indigene Völker werden aus ihrer Heimat vertrieben und können – umgesiedelt in Städten – weder ihre eigene Kultur entfalten noch der Armut entrinnen. Zusätzlich müssen die Plantagen künstlich bewässert werden, was zur Folge hat, dass Flüsse wie z. B. der Sao Francisco umgeleitet werden, vertrocknen oder riesige private Stauseen entstehen. Auch hier leidet wieder die arme Bevölkerung, die in Folge dessen ihre Existenzgrundlage und den Zugang zum Wasser verliert.

Wir greifen also durch die Rodung des Regenwaldes dermaßen stark in unser Ökosystem ein, dass der Kampf um die – theologisch gesprochen – ‚Bewahrung der Schöpfung‘ für zukünftige Generationen fast aussichtslos zu sein scheint.

„Wir müssen für Veränderungen kämpfen, statt einzig im Supermarkt zu den vermeintlich richtigen Produkten zu greifen.”

– Journalistin Kathrin Hartmann

Kirche darf sich nicht länger mit sich selbst beschäftigen

Unser Fleischkonsum hat daher nicht nur ausschließlich etwas mit ethischen Entscheidungen dem Tier gegenüber zu tun, sondern wir befinden uns im Zentrum der Klimadiskussion und der globalen Armutsfrage. Diese Verflochtenheit von Fleischkonsum, Armut und Klimawandel ist systemisch bedingt und somit als „Strukturelle Sünde“ zu bezeichnen“, so Rainer Hagencord, Leiter und Mitbegründer des ITZ . (₂)

Zu lange sind wir der Mär aufgesessen, wir Konsumenten könnten allein durch unser Kaufverhalten die Welt und das Klima retten: „Wir müssen für Veränderungen kämpfen, statt einzig im Supermarkt zu den vermeintlich richtigen Produkten zu greifen: Etwa wenn wir uns in Bündnissen engagieren, gegen Freihandelsabkommen oder Mega-Konzernfusionen mobilisieren. Oder wenn wir dafür eintreten, dass die Bundesregierung endlich die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzt und damit Korruption und Menschenrechtsverletzungen in globalen Lieferketten eindämmt“, so die Journalistin Kathrin Hartmann. (₃) Bei Fridays for Future findet zurzeit diese Vernetzung statt, von der wir auch als Kirche lernen können. Ebenso greift Greta Thunberg nicht ausschließlich das Konsumverhalten der Bürgerinnen und Bürger an; vielmehr sieht sie strukturelle Ursachen für den Klimawandel und befindet sich somit auf einer Linie mit Papst Franziskus.

Mit seiner sogenannten Umweltenzyklika „Laudato Si“ macht Papst Franziskus erneut deutlich, dass die Kirche sich nicht länger mit sich selbst beschäftigen solle, dass sie vielmehr „an die Ränder“ zu gehen habe. Er wendet den Blick unserer „Schwester“ zu, der Erde, die „aufschreit“ „wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen…“ (₄) „Die Ärmste von allen“, so Franziskus in Sönke Wortmanns Film „Ein Mann seines Wortes“, „das ist unsere Mutter Erde“. Er weiß, dass wir „in dem Gedanken aufgewachsen sind, dass wir ihre Eigentümer und Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern“ (₅) und konfrontiert dies mit dem zentralen Gedanken des Römerbriefes (Kap. 8), dass die gesamte Schöpfung, auch die Tiere, auf ihre Erlösung wartet.

„Die Ärmste von allen“, so Papst Franziskus,
„das ist unsere Mutter Erde“.

Verantwortung für Tiere, Boden und ‘Mutter Erde’

Leitet Franziskus einen Paradigmenwechsel ein? Bislang sind es nur Worte eines „Rundschreibens“, das innerkirchlich, so Rainer Hagencord, viel zu wenig Gehör findet. Dem Theologen und Biologen zufolge durchlebte die Kirche im Laufe ihrer Geschichte nämlich drei folgenschwere Reduktionen, mit denen es nun zu brechen gilt: zunächst habe die Kirche eines ihrer bedeutenden Themen – die Bewahrung der Schöpfung – vernachlässigt und sich vermehrt nur noch auf den Erlösungsgedanken konzentriert. Hierbei habe sie darüber hinaus lediglich die Erlösung im Jenseits im Auge gehabt, während die Befreiung von Ungerechtigkeiten und Unterdrückung im Diesseits in der kirchlichen Hierarchie keine Rolle mehr zu spielen schien. Zu guter Letzt wurde dieser jenseitige Erlösungsgedanke nochmals reduziert, indem die Kirche das Seelenheil lediglich den Menschen und nicht mehr den Tieren und der gesamten Schöpfung zusprach. (₆)

Wenn Papst Franziskus nun von den Armen spricht, dann meint er auch die Tiere, sogar den Boden unserer Erde, denn er versteht wie sein Namensvetter Franz von Assisi, dass wir nur auf unserer „Mutter Erde“ werden leben können, wenn wir mit ihr und nicht von ihr leben; und das können wir von den Tieren lernen.

Hoffen wir, dass die Kirche in der Nachfolge Christi wieder zu einem Kampfplatz gegen die Ausbeutung von Tier, Mensch und Umwelt wird; dass sie – ganz im Sinne Franz von Assisis – zu einem Anwalt der Tiere wird, indem sie wieder prophetisch die Stimme erhebt gegen die mächtigen Strukturen und die mächtigen Schlachthöfe, die Gewalt an unseren Mitgeschöpfen und der Welt ausüben. Wir sollten uns nicht länger von den Mächtigen hinters Licht führen lassen, die die Verantwortung in Bezug auf den Klimawandel an uns Konsumenten abtreten möchten, indem sie unser individuelles Kauf- und Flugverhalten als ursächlich für den Klimawandel darstellen.

An Gottes Reich mitwirken

Verbünden wir uns und tun es den Schülerinnen und Schülern gleich; dann kann die Kirche mit all ihren Mitgliedern auch eine Kraft im Kampf gegen den Klimawandel und der Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen werden. „Geben wir uns nicht mit einem Öko-Kapitalismus zufrieden, der weiterhin auf ständiges Wachstum bei alarmierender Ressourcenknappheit setzt“, so Rainer Hagencord auf dem Dortmunder Kirchentag 2019.

Christliche Nachfolge heißt demnach, parteiisch Stellung zu beziehen und sich dafür einzusetzen, dass das himmelschreiende Unrecht umgekehrt und das Schöpferhaus Gottes wieder eine Heimat für alle wird. Wenn politisch motivierte Schülerinnen und Schüler an den Fridays for Future Protesten teilnehmen, dann geschieht dies wohl nur bei den wenigsten aus religiöser Überzeugung. Jedoch kann die christliche Botschaft hier Inspiration für viele Jugendliche sein, an einem politischen Protest, an dieser historischen Notwendigkeit zu partizipieren, um am Reich Gottes mitzuwirken.

Zur Person:

Markus Bürger ist Religionslehrer an der Friedrich-Spee-Gesamtschule in Paderborn und Mitarbeiter am “Institut für theologische Zoologie“ in Münster (ITZ). Er ist zudem in regelmäßigen Abständen als Referent in der Abteilung Religionspädagogik eingesetzt. Dort verleiht er dem Bereich Religion und Bildung ein spezifisches Gesicht auf der Grundlage seiner Unterrichtserfahrung und seiner Autorentätigkeit in der Reihe “EinFach Religion. Interpretationen – Unterrichtsmodell“.

Quellen:

₁ ROTZETTER, Anton: Religionen als Anwälte der Tiere, in: http://www.br.de/radio/bayern2/wissen/radiowissen/tiere-seele-religionen-100.html, 20.53–21.12 [abgerufen am 1.2.2020, Seite inzwischen nicht mehr vorhanden].

₂ ITZ: https://www.theologische-zoologie.de

₃ K. Hartmann: die Verantwortung wird auf uns abgeschoben, zuletzt eingesehen am 1.2.2020 unter https://www.foodwatch.org/de/aktuelle-nachrichten/2018/die-verantwortung-wird-auf-uns-abgeschoben/

₄ papst franziskus, laudato si. rom, bonn 2015, abs. 2
₅ ebd.

₆ Hagencord, Rainer: Laudatio Si: Die Abkehr von eIner zerstörerischen AnthropozentrIk, in: Schöpfung Erfahren, Förderverein des ITZ (Hg.), 2019

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