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Erzbistum Paderborn
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„Keiner kann ohne den Anderen“

30 Jahre Mauerfall: Professor Dr. Rüdiger Althaus beleuchtet das Verhältnis von Staat und Kirche

Das Verhältnis von Staat und Kirche war schon immer spannungsreich. Besonders gerät dies ins Bewusstsein, wenn am 9. November der 30. Jahrestag des Mauerfalls begangen wird: Die ehemalige DDR verteidigte nicht nur ihre Staatsgrenze, sondern setzte auch Kirche enge Grenzen. Der Kirchenrechtler Professor Dr. Rüdiger Althaus von der Theologischen Fakultät Paderborn erklärt, wie Staat und Kirche sich heute zueinander verhalten.

Staaten haben Grenzen, Kirche und Glaube sind grenzenlos. Herr Prof. Dr. Althaus, stimmen Sie dieser Aussage zu?

 

Prof. Dr. Althaus

Grundsätzlich ja. Aber ich möchte meine Antwort erweitern: Ein Staat hat natürlicherweise Grenzen und er setzt Grenzen, um das weltliche Gemeinwesen in einem überschaubaren Raum zu ordnen. Diese Grenzen dürfen natürlich nicht ausschließend sein oder der Abschottung dienen, sondern sie sollen das Zusammenleben erleichtern.

Kirche und Glaube hingegen haben eine überzeitliche Bestimmung: Hier geht es um das ewige Heil der Menschen – ohne dabei aber die irdische Wirklichkeit auszublenden. Die Frohe Botschaft muss immer kontextgebunden verkündet werden. Nur so können die weltlichen Lebensverhältnisse inspiriert werden, etwa durch die Ausübung von „Nächstenliebe“ als typisch christlicher Tugend.

Kurzum: Staat und Kirche haben beide ihre je eigenen Aufgaben und Zuständigkeiten. Beiden geht es aber um das Wohl der Menschen. Deshalb ist eine Kooperation nötig.

Wäre der Fall der Mauer ohne die Kirche möglich gewesen?

Prof. Dr. Althaus

Ohne die christlichen Kirchen wäre es wohl nicht gegangen, nein. Das Jahr 1989 war ein Kristallisationspunkt mehrerer Entwicklungen. In Polen war seit einigen Jahren deutlich geworden, dass der Kommunismus und damit verbunden auch der Atheismus die Menschen nicht mehr befriedigen konnten. In der DDR, in der de facto per Staatsdoktrin das selbstständige Denken zu verhindern versucht wurde, waren die Kirchen „Freiräume“ in dieser Situation. Zudem war bei vielen Menschen zumindest ein Gespür vorhanden, dass das Materielle allein nicht genügt. Kirche bot in dieser gesellschaftlichen Situation im besten Sinne einen „Mehr-Wert“.

Viele kritisieren den scheinbaren Sonderstatus des kirchlichen Rechts. Geht kirchliches Recht vor staatlichem Recht?

Prof. Dr. Althaus

Es gibt keine Rangfolge. Entscheidend ist der jeweilige Zuständigkeitsbereich. Aufgabe des Staates ist es, gesellschaftliche Verhältnisse zu ordnen. Aufgabe der Kirche ist es, Menschen zu Gott zu führen. Die Verfassung garantiert der Kirche, ihre Angelegenheiten in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbstständig zu ordnen. Dieses Recht wird gelegentlich als ein Einfallstor für Willkür missverstanden. Aber das für alle geltende Gesetz stellt den Rahmen dar, innerhalb dessen die Kirche ihre Belange regeln kann, um ihren Sendungsauftrag glaubwürdig zu erfüllen. Der Staat gibt lediglich aus seiner Sicht gleichsam „Mindeststandards“ vor.

Das ist beispielsweise auch das entscheidende Kriterium für die Frage der Konfessionszugehörigkeit im kirchlichen Arbeitsrecht. Diese Frage sollte aufgabenorientiert beantwortet werden. Eine Tätigkeit in der Seelsorge verlangt eine intensive persönliche Identifikation mit der katholischen Kirche, eine rein technisch-administrative Tätigkeit ist da in meinen Augen anders zu sehen.

In welchem Verhältnis stehen staatliches und kirchliches Recht denn dann zueinander?

Prof. Dr. Althaus

Staatliches und kirchliches Recht stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich im Idealfall gegenseitig. Kirche kann irdische Angelegenheiten so wenig selbst bestimmen, wie der Staat kirchliche Angelegenheiten bestimmen kann. Nehmen Sie ein kurioses Gegenbeispiel: In Frankreich benennt aufgrund des Konkordates von 1801 der Staatspräsident den Erzbischof von Straßburg und den Bischof von Metz. Stellen Sie sich das einmal bei uns vor – das würde hier wohl niemand wollen.

Es gibt aber Schnittmengen zwischen beiden Bereichen, die als so genannte „res mixtae“ staatlich und kirchlich gemeinsam ausgehandelt werden. Dazu zählen beispielsweise der Religionsunterricht, Hochschulen oder auch kirchliche Friedhöfe. Hier findet eine Verständigung in gutem Einvernehmen statt: Kooperation statt Konfrontation.

In welchen Bereichen kann Kirche nicht ohne den Staat? Und wo kann der Staat nicht ohne Kirche?

Prof. Dr. Althaus

Keiner kann letztlich ohne den Anderen. Kirche braucht den Staat, um im weltlichen Rechtsbereich handeln zu können. Beispielsweise bei Vertragsabschlüssen oder bei der Gründung von Vereinen oder von Körperschaften öffentlichen Rechts. Auch die Grundlagen des staatlichen Arbeitsrechts – das im Übrigen auch durch die katholische Soziallehre entscheidend inspiriert wurde – finden sich im kirchlichen Arbeitsrecht und werden bei kirchlichen Arbeitgebern umgesetzt.

Andererseits übernimmt Kirche im Bildungs- und caritativen Bereich viele Aufgaben. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben insbesondere Ordensgemeinschaften hier entscheidende Impulse gesetzt und unheimlich viel getan. Damals etablierte sich auch eine ganz neue Seite des Ordenslebens: Hatten Ordenschristen zuvor zurückzogen gelebt, gingen sie jetzt auf die Menschen zu, „ent-deckten“ deren Not und halfen. Ohne das christliche Engagement gäbe es auf diesem Sektor beispielsweise nicht das Niveau an Sorge um den Menschen, das wir heute haben.

Heute ist das Bewusstsein für diese Pionierleistung oftmals nicht mehr vorhanden, weil Bildung und Gesundheit zum gesellschaftlichen Allgemeingut geworden sind. Aber auch heute steckt in vielen Einrichtungen auf diesen Gebieten mehr christlicher Geist drin, als manch einer denkt.

Prof. Dr. Althaus, vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Maria Aßhauer, Abteilung Kommunikation

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