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Erzbistum Paderborn
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Unser Glaube
01. September 2019

Franz Stock, der Brückenbauer

Im Zweiten Weltkrieg setzte sich der Paderborner Priester für Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen ein.

Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall Deutschlands auf Polen der Zweite Weltkrieg. Er kostete in sechs Jahren knapp 60 Millionen Menschen das Leben.

Heute ist der Anfang dieser Katastrophe genau 80 Jahre her. Für uns ist das Anlass, an den Paderborner Priester Franz Stock zu erinnern, der sich selbst mitten in den Kriegswirren unermüdlich für Verständigung und Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen einsetzte. Wir tun dies im Gespräch mit Professor Dr. Rüdiger Althaus, der als erzbischöflicher Delegat das derzeit laufende Seligsprechungsverfahren Franz Stocks begleitet. Dem Franz-Stock-Komitee für Deutschland e.V. in Neheim danken wir für das umfangreiche Bild- und Text-Material.

Die wichtigsten biografischen Daten zu Franz Stock in Kürze

1904 in Neheim im Sauerland geboren

1926 Studium der Theologie in Paderborn, 1928/29 drei Freisemester am Institut Catholique in Paris

1932 Priesterweihe in Paderborn

1934 Berufung zum Rektor der deutschsprachigen Gemeinde in Paris

1939 kurzfristige Rückkehr in die Heimat wegen Kriegsausbruchs

1940 Ernennung zum Seelsorger der Deutschen im besetzten Paris, Soldatenseelsorger und Betreuung französischer Häftlinge und Geiseln in Wehrmachtsgefängnissen

1944 Kriegsgefangenschaft nach Ende der Besatzung

1945 Leitung des „Stacheldrahtseminars“ von Chartres, in dem deutsche kriegsgefangene Theologiestudenten ihre Ausbildung zum Priester fortsetzen können

1947 Rückkehr nach Paris

1948 Franz Stock stirbt am 24. Februar in Paris.

Redaktion: Woher stammt Franz Stocks Liebe zu Frankreich – in einer Zeit, als dies alles andere als selbstverständlich war?

Professor Dr. Rüdiger Althaus

Professor Dr. Rüdiger Althaus (bei einem Vortrag über Franz Stock auf dem Katholikentag in Münster) begleitet das Seligsprechungsverfahren.

Professor Dr. Althaus: Zum ersten Mal richtig greifbar wird seine Affinität zu Frankreich bei einer internationalen Veranstaltung für die Jugend, die 1926 in Bierville in der Nähe von Paris stattfindet. Sie wurde von Marc Sangnier ausgerichtet, mit dem Motto: „Frieden durch die Jugend“. Es haben etwa 9.000 junge Leute daran teilgenommen, darunter etwa 800 Deutsche. Franz Stock schloss dort Freundschaften, lernte Land und Leute und auch die französische Mentalität und Sprache besser kennen. Und das veranlasste ihn, seine Freisemester in Paris zu verbringen, was bis dahin absolut unüblich war, denn Deutschland und Frankreich befanden sich zumindest bewusstseinsmäßig weiterhin in einer Art Kriegszustand. Er wurde auch massiv gewarnt, nach Frankreich zu gehen.

Redaktion: Wie kam er 1934 an die Stelle des Seelsorgers für die deutsche Gemeinde in Paris?

Professor Dr. Althaus: Man kam in Paris auf den Gedanken, Franz Stock zu berufen. Man wollte dort für die Seelsorge an den Deutschen alles andere als einen ideologischen Scharfmacher. Der noch relativ neue Erzbischof von Paris war früher Regens des Priesterseminars und kannte Franz Stock und seine Einstellung genau. Franz Stock nahm sich in dieser Zeit bis 1939 aber nicht nur seiner Gemeindemitglieder an, sondern auch der wachsenden Gruppe derjenigen, die aus Deutschland vertrieben wurden oder emigrierten. Das waren vor allem Menschen mit jüdischer Abstammung. Es wird berichtet, dass seine Adresse im Grunde eine Art Geheimtipp war: Hier ist einer, der dir wohnungsmäßig, finanziell, arbeitsmäßig, kontaktmäßig weiterhelfen kann.

Redaktion: Auch während des Zweiten Weltkrieges war er Seelsorger im besetzten Paris. Wie konnte er diese Aufgabe unter Kriegsbedingungen wahrnehmen?

Professor Dr. Althaus: Franz Stock hatte eine doppelte Aufgabe. Die erste betraf die Soldatenseelsorge, in der er es unter anderem als seine Pflicht ansah, den Soldaten Achtung für die französische Kultur zu vermitteln. Dies machte er, indem er mit ihnen Ausflüge in die Umgebung unternahm. 1943 hat er zudem ein Buch über die Bretagne veröffentlicht, das weniger ein Reiseführer, sondern mehr eine Hinführung zu der Kultur der Bretonen war.

Die andere Aufgabe betrifft die Seelsorge in den Wehrmachtsgefängnissen. Dort wirkte er zunächst als Priester, aber darüber hinaus signalisierte er jedem, der dort inhaftiert war, durch einfache Gesten der Mitmenschlichkeit: Da ist jemand, der an eurem Schicksal teilhat und bestrebt ist, euch etwas Gutes zu tun. Das reichte von der Besorgung von Artikeln des täglichen Gebrauchs bis hin zu Kontaktaufnahmen mit Angehörigen. Diese Zuwendung geschah unabhängig davon, ob es ein praktizierender Katholik, ein Kommunist, ein Jude oder ein Atheist war. So gelang es ihm, großes Vertrauen bei all diesen Menschen zu gewinnen. Sie legten großen Wert darauf, dass er sie nicht nur auf ihrem Weg zur Erschießung begleitete, sondern dass sie ihm im Moment des Todes in die Augen blicken konnten. Er nahm dann auch an den Begräbnissen teil, um den Angehörigen mitteilen zu können, wo sich das Grab befand.

Der französische Philosoph und Priester Joseph Foliet über seinen Freund Franz Stock:

„Er liebte sein Vaterland und verstand es mit einer überzeugenden Intelligenz zu verteidigen. Er liebte auch Frankreich, das er wunderbar begriff. Der Krieg zerschnitt ihm die Seele. Er wusste den Frieden zu finden in seiner Pariser Mission.“

Das Foto zeigt Franz Stock mit französischen Freunden bei einem Ausflug an den Möhnesee 1931. (Quelle: Franz-Stock-Komitee für Deutschland e.V., Neheim)

Redaktion: Nach Kriegsende übernahm er dann die Leitung des „Priesterseminars hinter Stacheldraht“…

Professor Dr. Althaus: Gerade daran sieht man das Vertrauen, das ihm die Franzosen entgegenbrachten. Einem Franzosen wollte man diese Aufgabe nicht übertragen, weil man Angst hatte vor der Reaktion der deutschen Kriegsgefangenen. Und bei einem anderen Deutschen wäre man seiner Loyalität gegenüber den Franzosen nicht sicher gewesen. Sein Bestreben im Seminar war es, nicht nur die geistliche und wissenschaftliche Ausbildung der deutschen Kriegsgefangenen voran zu treiben. Er wollte ihnen auch ein Bewusstsein vermitteln, dass die Franzosen ihnen hier trotz Kriegsgefangenschaft etwas Gutes tun. Auch in dieser Situation warb er also um Aufgeschlossenheit für Frankreich, die Franzosen, die französische Kultur. Woran man das Vertrauen, das ihm die Franzosen entgegenbrachten, auch ablesen konnte: Einzelne Leute des Wachpersonals im Gefangenenseminar waren seine Beichtkinder.

Redaktion: Welches Menschenbild leitete Franz Stock? Offensichtlich hat er sich ja nicht davon abbringen lassen, immer zuerst den Mitmenschen zu sehen und nie den „Feind“…

Professor Dr. Althaus: Er sah in jedem Menschen ein Abbild Gottes, ein Kind Gottes, unabhängig von seiner Religion, seiner Herkunft, seiner Hautfarbe. Die Menschwürde ging für ihn über alles und war für ihn ein Grund, sich jedem Menschen zuzuwenden, auch solchen, die zunächst einmal nichts von ihm wissen wollten. Diese Achtung vor der Würde eines Menschen muss wesentlich tiefer gesessen haben als alle Propaganda und Ängste, wobei man sagen muss, dass dies nicht nur die deutsche Seite betraf. Ein Beispiel: Während seines Freisemesters in Paris wurde bei der Tischlesung im Priesterseminar einmal ein deutsch-feindliches Buch vorgetragen, mit dem Ergebnis, dass Stock zum Regens gegangen ist und gesagt hat, das wäre für ihn nicht zu ertragen. In der Konsequenz wurde das Buch dann an die Seite gelegt. Diese Spaltung zwischen Deutschen und Franzosen war für ihn Ansporn, in einem guten Sinne Brücken zu bauen. Dieses zutiefst christliche Menschenbild hat ihn bis zu seinem Tod erfüllt.

“Ich meine oft, ich könnte nicht mehr. Was ich hier erlebe, ist so furchtbar, dass ich oft Nächte lang schlaflos liege.“ (Franz Stock zu dem damaligen Militärpfarrer und späteren Erzbischof von Paderborn, Dr. Lorenz Jaeger)

Das Foto zeigt die Erschießung der Gruppe Manouchian am Mont Valerien am 21. Februar 1944 (Foto: Franz-Stock-Komitee für Deutschland e.V.,  Neheim)

Redaktion: Während seiner Zeit als Gefängnisseelsorger war er ständig mit dem Tod konfrontiert und hat sicherlich viel Schreckliches gesehen. Hat ihn das verändert?

Professor Dr. Althaus: Letztlich kann man darüber nur Mutmaßungen anstellen. Aber es muss eine enorme Belastung gewesen sein, Tausende von Inhaftierten zu besuchen, zu begleiten, teilweise auf Ablehnung zu stoßen. .. und dann vor allem, rund 2.000 Menschen zu ihrer Erschießung zu begleiten. Die ehemaligen Seminaristen berichten alle, dass er im Seminar sehr still gewesen ist. Er hat über das, was er da erlebt hat, nicht gesprochen. Das ist sicher ein allgemeines Phänomen von Kriegsteilnehmern gewesen, ist aber sicher auch Ausdruck dieses besonderen Schreckens, den er da erfahren hat. Er muss ein ganz besonderes Maß an geistlicher Reife erreicht haben, um die Menschen zu trösten. Die Seminaristen sagen auch alle, dass er mit wenigen Worten Trost spenden konnte. Was letztlich bedeutet, dass er eine ganz tiefe Verwurzelung im Glauben an Jesus Christus, dessen Leiden, Tod und Auferstehung hatte. Es war ihm präsent: Es gibt den Tod, auch den gewaltsamen Tod. Das ist aber nicht das Ende, der Herrgott wartet auf euch! Diese Überzeugung muss er auch Nicht- und Andersgläubigen vermittelt haben.

Redaktion: Unsere heutige Generation hat das Glück, keinen Krieg erlebt zu haben. Inwiefern kann Franz Stock trotzdem ein Vorbild sein?

Professor Dr. Althaus: Sicher ist von einer ganz gewaltigen Bedeutung, welche Würde er jedem einzelnen Menschen zugemessen hat. Egal, welcher Abstammung, egal welcher Religion, egal was ein Mensch mitbringt, es kommt nur darauf an, dass er ein Mensch ist. In jedem Mensch sah er ein Abbild Gottes. Diese Unbefangenheit kann und muss letztlich jeden einzelnen von uns motivieren. Ich gehe davon aus, dass wir uns immer wieder selber dabei ertappen, welche persönliche Sperren, welche Berührungsängste in uns vorhanden sind.

Redaktion: Wie würde ein Franz Stock in den heutigen zahlreichen Krisen um Verständigung und Versöhnung werben?

Professor Dr. Althaus: Ich vermute, er würde sich auch heute bemühen, die Kultur des anderen kennenzulernen und zu verstehen, und dies dann auch anderen zu vermitteln. Er ist da auf einem ähnlichen Weg wie Franziskus von Assisi – statt sich an Kreuzzügen zu beteiligen hat er sich lieber an der Nordküste Ägyptens direkt mit dem Sultan al-Malik al-Kamil getroffen und ihn als gläubigen Menschen kennengelernt. Das ist letztlich die Botschaft, die wir von Franz Stock übernehmen können, gerade auch in Anbetracht der Verhältnisse im politischen Europa, wo es zunehmend nationalistische Tendenzen gibt, wo es neue Bestrebungen gibt, sich voneinander abzuschotten, die eigenen Rechte nicht nur zu wahren, sondern zu stärken und auszubauen, durchaus zu Lasten anderer. Das ist mit dem Ansinnen von Franz Stock so nicht in Verbindung zu bringen.

„Gott hat mir die Gnade verliehen, den heiligen Abbé Stock im Gefängnis von Fresnes kennenzulernen. Ich entsinne mich immer einer kurzen Unterhaltung, die mich mit Verwirrung erfüllt hat, denn ich habe dabei eingesehen, dass er wahrhaft ein Mann Gottes ist. Er war gekommen, um mich in meiner Gefängniszelle im dritten Stock des Zentralbaues am 5. Juni zu besuchen, an meinem Geburtstag, dem Fest des hl. Bonifatius, eines ‘angelsächsischen’ Mönches, des Apostels der Deutschen. Ich hielt mich zwar dabei für sehr geistreich, beging aber die Geschmacklosigkeit, ihm zu sagen: ‘Mon père, ich habe mich dabei überrascht, für Ihr Vaterland zu beten, aber ich stelle fest, dass es durch einen Engländer bekehrt wurde.’ Er antwortete mir darauf mit seiner sanften, ruhigen Stimme: ‘Mon fils, in den Augen Gottes gibt es keine Engländer, Deutsche und Franzosen. Für ihn gibt es nur Christen – oder ganz einfach Menschen  –  und ich, der ich zu Ihnen spreche, ich bin nur ein Priester des Bischofs von Paris.’

(…) Er allein wäre in der Lage gewesen, den Zorn des Himmels über Sodom und Gomorrha aufzuheben. Ich wünsche sehnlich, dass er eines Tages die Ehre der Altäre erfährt. Dann wird Frankreich mit dem Feind von gestern um seine Schutzherrschaft streiten. Seine übernatürliche Antwort auf meine absurde Bemerkung gibt mir dafür eine Vorahnung.”

(General Charles de Cossé-Brissac, Zitat entnommen aus: Dieter Lanz, Abbé Franz Stock: Kein Name – ein Programm, Paderborn, 1997)

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