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Erzbistum Paderborn
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„Er bewahrte sich seine innere Freiheit“

Akademischer Oberrat Dr. Gerhard Müller über den seligen Niels Stensen als Naturwissenschaftler

Im Oktober 2019 hat das Erzbistum Paderborn eine Reliquie des seligen Niels Stensen für den Paderborner Dom erhalten. Niels Stensen war von 1680 bis 1683 Weihbischof in Paderborn, er wurde 1988 durch Papst Johannes Paul II. seliggesprochen. Er war jedoch nicht nur Priester und Bischof, sondern auch ein bedeutender Wissenschaftler, der unter anderem im Bereich der Geologie verschiedene Entdeckungen machte. Dr. rer. nat. Gerhard Müller hat rund 32 Jahre an der Universität Paderborn Physische Geographie und Geologie gelehrt. Im Gespräch stellt der 81-jährige ehemalige Akademische Oberrat seine besondere Beziehung zu Niels Stensen vor und bringt den Seligen als Naturwissenschaftler, insbesondere als Geologen näher.

Am Christkönig-Sonntag, 22. November 2020, wird im Kapitelsamt um 10 Uhr eine Reliquie des seligen Niels Stensen in eine eigens gefertigte Schauvitrine eingefügt und dann dauerhaft in der Vitus-Kapelle des Paderborner Domes den Gläubigen zur Verehrung zugänglich sein. Der Gottesdienst mit Weihbischof Hubert Berenbrinker wird via Live-Stream im Internet übertragen und kann so mitgefeiert werden.

Dr. Müller, wie haben Sie den seligen Niels Stensen für sich entdeckt? Wann und wie sind Sie ihm zum ersten Mal begegnet?

Dr. Gerhard Müller

In der ersten Vorlesung meines Geologiestudiums an der Universität Münster berichtete Professor Lotze 1958 über Grundfragen der Geologie und die Entstehung von Sedimentgesteinen. In diesem Zusammenhang nannte er den dänischen Forscher Niels Stensen / Nicolaus Steno, der als erster eine wissenschaftliche Grundlage für die Entstehung von Schichtgesteinen entwickelt hat. Niels Stensen erkannte, dass sich Sedimentgesteine aus Schichten gebildet haben, die horizontal in Flüssen, Seen, Meeren oder durch Wind abgelagert wurden. Er beschrieb als erster ungefähr 1666, dass sich bei normaler Lagerung die jüngeren Schichten oben befinden und die älteren weiter unten. Daraus ergibt sich eine chronologische Abfolge. Stensen hatte somit einen Grundpfeiler der Geologie formuliert, das sogenannte stratigraphische Grundgesetz. Stensen beschrieb darüber hinaus, dass schräg oder vertikal gelagerte Schichtgesteine erst nach der Sedimentation deformiert worden sind. Wesentliche Thesen zur Geologie wurden also von Niels Stensen formuliert, als er Arzt des Medicifürsten Ferdinand II. in Florenz war und er sich in der Toscana verstärkt auch mit Mineralien und Fossilien beschäftigte.

Seit diesem Erlebnis im ersten Semester meines Studiums hat mich Niels Stensen fasziniert, denn er war als Anatom und Geologe einer der großen Wissenschaftler seiner Zeit. Mich hat damals aber auch die Frage beschäftigt, wie ein derartig innovativ wirkender Naturwissenschaftler von europäischem Rang und ein im lutherischen Glauben seiner dänischen Heimat verwurzelter Christ Weihbischof in Münster und Paderborn werden konnte.

Eine Antwort ist zu finden, wenn die Weltoffenheit von Niels Stensen vor dem Hintergrund der verschiedenen Stationen seines Lebens betrachtet wird. Im Rahmen seiner Forschungen an den Universitäten von Amsterdam und Leiden lernte er die religiöse Zersplitterung nach der Reformation kennen, die ihn sehr nachdenklich machte. Auch bei seinem Aufenthalt in Paris und später in Italien setzte er sich häufig mit theologischen Fragestellungen auseinander. Überliefert sind besonders intensive Gespräche über Glaubensthemen aus seiner Zeit am Hof der Medicifürsten in Florenz. Nach langjährigen theologischen Studien und vielen Gesprächen mit unterschiedlichen Menschen in seiner Umgebung entschloss er sich 1667 zur Konversion. In diesem Zusammenhang wird berichtet, dass die Verehrung der Eucharistie während der Fronleichnamsprozession in Livorno einen besonders tiefen Eindruck bei Niels Stensen hinterlassen hat.

Die Konversion bedeutete zugleich für Niels Stensen eine intensive Ausrichtung auf theologische Themen. Damit verbunden war auch das unerwartete Ende seiner naturwissenschaftlichen Forschungen, die er rund 20 Jahre betrieben hat. 1675 wurde er in Florenz zum Priester geweiht. Bereits zwei Jahre später empfing er die Bischofsweihe mit dem Auftrag, als „Apostolischer Vikar der nordischen Mission“ zu wirken. 1680 wurde er unter dem sehr gebildeten und vielseitig interessierten Fürstbischof Ferdinand von Fürstenberg Weihbischof in Münster und Paderborn und hatte in dieser Funktion – in den Jahren von 1680 bis 1683 – intensive Beziehungen zu meiner Heimatstadt und ihrer Umgebung.

„Seit dem ersten Semester meines Studiums hat mich Niels Stensen fasziniert, denn er war als Anatom und Geologe einer der großen Wissenschaftler seiner Zeit. Mich hat damals aber auch die Frage beschäftigt, wie ein derartig innovativ wirkender Naturwissenschaftler Weihbischof in Münster und Paderborn werden konnte.“

 

Dr. Gerhard Müller

Wenn Sie Ihre Beziehungen zu Niels Stensen in wenigen Sätzen beschreiben: Was bedeutet er für Sie?

Dr. Gerhard Müller

Niels Stensen ist für mich ein großes Vorbild als Wissenschaftler und Mensch. Er hat gängige ungesicherte Thesen niemals ungeprüft übernommen, sondern stets kritisch und ohne Vorurteil hinterfragt. Oberstes Prinzip war für ihn exaktes wissenschaftliches Arbeiten. Er war zudem immer ein weltoffener Forscher, der in der gründlichen Erkundung der Natur auch einen Weg zur Erkenntnis von Gottes Schöpfung sah. In meinem geowissenschaftlichen Studium bin ich Niels Stensen vor allem bei unterschiedlichen Fragen der Geologie, Paläontologie und Mineralogie begegnet. Er gehört für mich zu den großen Wissenschaftlern seiner Zeit. Über seine naturwissenschaftlichen Fragestellungen hinaus korrespondierte er auch mit herausragenden Vertretern anderer Wissenschaften, beispielsweise mit Spinoza und Leibniz.

Große Strahlkraft hat Niels Stensen für mich aber auch wegen seiner vorbildlichen menschlichen Eigenschaften. Wie ein roter Faden ziehen sich durch sein Leben beispielhafte Tugenden wie Glaubwürdigkeit, Unbestechlichkeit, Bescheidenheit und Demut, Frömmigkeit und Gottvertrauen, Nächstenliebe und Respekt gegenüber Andersdenkenden.

Interessant finde ich auch, dass Niels Stensen in Florenz von der Gebetshaltung des volkstümlichen Philippus Neri (1515 – 1595) angeregt wurde, der kurze Stoßgebete empfahl und von dem auch eines der bekanntesten Kurzgebete Niels Stensens stammt, nämlich “Jesus sis mihi Jesus“, „Jesus sei mir Jesus, sei mir Erlöser“. Philippus Neri wurde auch von Bischof Ferdinand von Fürstenberg sehr verehrt. Auf dem großen Gemälde des Hofmalers Fabritius am linken Seitenaltar der Residenzkirche in Schloß Neuhaus ist die Vision des hl. Philippus Neri dargestellt nach einem berühmten Bild von Guido Reni in der Chiesa Nuova in Rom. Dieses Motiv hat Niels Stensen während seiner Besuche bei Bischof Ferdinand in der Residenz Neuhaus mit Sicherheit gekannt.

Können Sie einige Felder nennen, in denen Niels Stensen als Wissenschaftler tätig war?

Dr. Gerhard Müller

Nach dem Medizinstudium in Kopenhagen widmete sich Niels Stensen zunächst anatomischen Forschungen an den damals berühmten Universitäten in Amsterdam und Leiden. 1660 entdeckte er den Ausführungsgang der Ohrspeicheldrüse, der heute noch in der Medizin als „Ductus Stenonianus“ bezeichnet wird. Außerdem machte er bahnbrechende Forschungen über Drüsen und Muskeln. So widerlegte er nach genauen Untersuchungen am Herzen beispielsweise die damals gängige These, dass das Herz das Zentrum der körperlichen „Wärme“ beziehungsweise der menschlichen Seele sei. Er wies nach, dass das Herz ein motorischer Muskel ist. Auch die Bewegungstechnik der Herzmuskulatur hatte Stensen bereits sehr exakt beschrieben und durch Zeichnungen veranschaulicht. Nach eingehenden Forschungen zur Hirnanatomie hielt Stensen bei seinem Aufenthalt in Paris ab 1664 vielbeachtete Vorlesungen zu dieser Thematik. Seine richtigen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen standen teilweise im Gegensatz zu damals gängigen Thesen bekannter Wissenschaftler, zum Beispiel zu den Vorstellungen von Descartes über die Zirbeldrüse und den Herzmuskel.

Von nachhaltiger Bedeutung für Niels Stensen wurde der Aufenthalt am Hof der Medicifürsten Ferdinand II. und Cosimo III. in Florenz. Hier fand er ab 1666 für seine naturwissenschaftlichen Studien, unterbrochen durch einen zweijährigen Aufenthalt als Anatom in Kopenhagen, beste Forschungsmöglichkeiten und konnte mit hervorragenden Wissenschaftlern korrespondieren. In dieser Zeit vervollkommnete er zum Beispiel seine induktive Methode in verschiedenen Muskelstudien, um so zu allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten zu kommen.

Ein besonderes Ereignis in Stensens wissenschaftlichem Leben ergab sich 1666 aus dem Fang eines großen Haifisches bei Livorno. Niels Stensen sezierte den Fischkopf und stellte fest, dass die Zähne des Hais fast identisch waren mit den sogenannten Zungensteinen (Glossopetrae) aus Malta und Italien, die man bisher als anorganische zufällige Bildungen der Natur, sogenannte Lusus naturae, angesehen hatte. Indem Stensen diese „Zungensteine“ als vergleichender Anatom eindeutig als fossile Haifischzähne erkannte, machte er den ersten Schritt zu einer neuen Wissenschaft, der Paläontologie, die Einblicke in die Lebewelt geologisch vergangener Zeiten vermittelt.

„Große Strahlkraft hat Niels Stensen für mich wegen seiner vorbildlichen menschlichen Eigenschaften. Wie ein roter Faden ziehen sich durch sein Leben beispielhafte Tugenden wie Glaubwürdigkeit, Unbestechlichkeit, Bescheidenheit und Demut, Frömmigkeit und Gottvertrauen, Nächstenliebe und Respekt gegenüber Andersdenkenden.”

 

Dr. Gerhard Müller

Welche Entdeckungen hat Niels Stensen im Bereich der Geologie gemacht?

Dr. Gerhard Müller

Stensen hat erkannt, dass die sogenannten Zungensteine den von ihm frisch präparierten Haifischzähnen gleichen. 1667 wies er erstmals auf diese Zusammenhänge hin und belegte so, entgegen der bis dahin herrschenden Vorstellung, dass es sich bei den „Zungensteinen“ um biogene Bildungen handelt. Ein Jahrhundert zuvor hatte bereits der französische Naturforscher Rondelet vermutet, dass die „Zungensteine“ Zähne von Haifischen sein könnten. Auch der italienische Naturforscher Fabio Colonna hatte 1616 beschrieben, dass die „Zungensteine“ Haifischzähne seien. Beide hatten aber keine Erklärung dafür, wie die Haifischzähne vom Meer auf das Land gelangen und in Stein oder Sand eingebettet werden konnten. Die Ausführungen beider Forscher fanden zudem kaum Interesse.

Stensen hat dagegen als erster in seiner Schrift „Canis carchariae dissectum caput“ die Genese der Fossilien zurückhaltend und vorsichtig aber klar formuliert und darauf hingewiesen, dass die Sedimentschichten noch nicht verfestigt waren, als die heutigen Fossilien darin abgelagert wurden. Er hat seine Thesen auf Grund exakter Beobachtungen und Vergleiche in einen größeren Zusammenhang gestellt. Damit begründete Stensen die Wissenschaft von den Lebewesen der erdgeschichtlichen Vergangenheit, die später als Paläontologie bezeichnet wurde. Die toskanische Landschaft mit ihren vielen Funden an tierischen und pflanzlichen Fossilien begünstigte das zunehmende Interesse von Stensen an geologisch-paläontologischen Fragestellungen.

Auf der Basis dieser Erkenntnisse veröffentlichte Stensen 1669 sein berühmtes Werk „De solido intra solidum naturaliter contento dissertationis prodromus“. Es ist ein Vorläufer einer Abhandlung über Festes, das in der Natur von Festem eingeschlossen ist. Diese Publikation war lediglich als vorläufige kompakte Zusammenfassung seiner geowissenschaftlichen Forschungen gedacht. Ein ausführlicheres Werk sollte später folgen. Dennoch gibt Stensen in dieser Schrift grundlegende Informationen zur Geschichte der Erde und zu den Lagerungsformen der Schichtgesteine. Eine absolute Altersbestimmung der Erde, die sich allein auf biblische Aussagen stützt, lehnt Stensen ab. Er formuliert stattdessen das relative Alter der Gesteine, indem er darauf hinweist, dass bei ungestörter Lagerung die älteren Schichten unten und die jüngeren oben abgelagert werden nach dem sogenannten chronologischen Prinzip. Damit erläutert Stensen als erster das „Stratigraphische Grundgesetz“ (Ablagerungsgesetz / Superpositionsgesetz). Das ist bis heute ein wesentlicher Grundpfeiler der Geologie.

Stensen weist auch darauf hin, dass die ursprünglich horizontalen Sedimente durch Erosion und andere Ereignisse, beispielsweise grabenartige Einbrüche, verändert werden können. Damit öffnet Stensen auch die Türe zur Tektonik, die heute mit ihren unterschiedlichen Prozessen ebenfalls ein wesentlicher Teil der Geowissenschaften ist. Italienische Geologen haben diese Aussagen von Niels Stensen in einigen Tälern der Toskana weitgehend bestätigt. Der amerikanische Geologe Alan Cutler hat diesen Fragestellungen in seinem vielbeachteten Stensen-Buch „ Die Muschel auf dem Berg“ breiten Raum gewidmet. Leider ist die geplante ausführliche Fassung des „Prodromus“ nicht mehr realisiert worden, denn Stensen wandte sich gegen Ende der 1660er Jahre verstärkt theologischen Fragen zu. Auch über eine Forschungsreise von Stensen zwischen 1668 und 1670 zu Bergwerken und geowissenschaftlich interessanten Zielen in Österreich, Polen und Siebenbürgen und einem Abstecher in die Niederlande sind fast keine Aufzeichnungen erhalten geblieben. Sie gelten bis heute als verschollen.

Stensen führt auch genaue Messungen an Mineralien und Kristallen durch. Durch Forschungen am Bergkristall formuliert Stensen Theorien zur Genese und zum Wachsen der Kristalle. Er findet heraus, dass alle zur gleichen Kristallart gehörenden Einzelkristalle zwischen Flächen und Kanten immer gleiche Winkel bilden. Er entdeckt also die Winkelkonkordanz, ein bedeutendes Prinzip der Kristallographie und ein mineralogisches Grundgesetz. Auf einer Tafel im Anhang des „Prodromus“ stellt er dies Prinzip graphisch dar. Auch das war ein fundamentales Forschungsergebnis. Stensen wird daher als Wegbereiter der modernen Mineralogie und Kristallographie angesehen.

„Für Niels Stensen waren Religion und Wissenschaft keine unüberbrückbaren Gegensätze. In seiner Person ist gelebte Frömmigkeit kombiniert mit innovativem Forschen in unterschiedlichen wissenschaftlichen Themenfeldern.”

 

Dr. Gerhard Müller

Hat die Seligsprechung von Niels Stensen im Jahre 1988 in Ihren Augen auch etwas mit dem Naturwissenschaftler Niels Stensen zu tun?

Dr. Gerhard Müller

Für Niels Stensen waren Religion und Wissenschaft keine unüberbrückbaren Gegensätze. In seiner Person ist gelebte Frömmigkeit kombiniert mit innovativem Forschen in unterschiedlichen wissenschaftlichen Themenfeldern. Er war als Wissenschaftler, aber auch als strenggläubiger Lutheraner und in seinem späteren Leben als Katholik, immer offen für die persönliche Begegnung mit Gott.

In der Feier der Seligsprechung am 23.10.1988 wies Papst Johannes Paul II. in seiner Predigt im Petersdom mehrfach darauf hin, dass Niels Stensen einerseits ein leidenschaftlicher Forscher war, andererseits habe er jedoch auch immer wieder seine transzendentale Beziehung zu Gott zum Ausdruck gebracht. Nach der Überzeugung von Stensen steht Gott hinter den wunderbaren sichtbaren Dingen und ist letztlich verantwortlich für die Schönheit der Schöpfung. Vielleicht gab diese Erkenntnis auch einen wesentlichen Anstoß dazu, seine naturwissenschaftlichen Studien und Forschungen nach zwei Jahrzehnten zu beenden, um sich ganz der Theologie zu widmen und sich als Seelsorger in den Dienst des Glaubens und der christlichen Botschaft zu stellen. Die Quintessenz seiner Weltanschauung kommt in seinen berühmten Worten zur Schönheit der Schöpfung zum Ausdruck: „Schön ist, was wir sehen, schöner, was wir erkennen, aber weitaus am schönsten, was wir nicht fassen können.“

Aus dem Leben des Niels Stensen sind uns viele Situationen überliefert, in denen er als Wissenschaftler und tiefgläubiger Christ die Beziehung zu Gott suchte und dies oft bei seinen anatomischen Demonstrationen öffentlich bekundete. Als äußeres Zeichen dieser Grundhaltung sehe ich auch sein Wappen an, das er als junger Anatom auswählte und später als Weihbischof beibehielt. Es ist ein Herz mit einem darauf stehenden Kreuz. Hier wird sozusagen bildhaft im Zeichen des Herzens das anatomisch–naturwissenschaftliche Forschungsfeld mit dem Kreuz verbunden. Somit verkörpert dieses Wappen auch die Sicht des Naturwissenschaftlers auf den Schöpfer der irdischen Dinge.

Was kann die Seligsprechung von Niels Stensen heute einem Naturwissenschaftler und uns allen sagen?

Dr. Gerhard Müller

Aus dem Leben des seligen Niels Stensen können wir viele Anregungen bekommen. Seine auf Wahrheit zielenden induktiven Forschungsmethoden in Anatomie und Geowissenschaften sind im Grundsatz auch heute noch beispielhaft. Die Forschungsergebnisse werden von Niels Stensen jedoch nicht nur als reine Fakten präsentiert, sondern er stellt sie meist in einen größeren Zusammenhang, beispielsweise in einen kulturellen und theologischen Rahmen. Hier wird eine menschliche und moralische Dimension der naturwissenschaftlichen Forschung sichtbar. Daraus ergeben sich auch Botschaften für die Forscher unserer Zeit. Die Folgen der eigenen Forschungsergebnisse sollten immer gründlich und mit großer Verantwortung bedacht werden.

Auch als hochbegabter und international anerkannter Wissenschaftler ist Niels Stensen stets bescheiden und zurückhaltend aufgetreten. Zugleich blieb er aufgeschlossen für neue Erkenntnisse und Fragestellungen und bewahrte sich so seine innere Freiheit.

Dazu gehört auch sein bewusster Verzicht auf das Bischofsamt nach seinem Fortzug aus Münster, denn wegen korruptiver Vorgänge anlässlich der Wahl eines Nachfolgers von Fürstbischof Ferdinand Freiherr von Fürstenberg wollte er nicht länger unter dem neuen Bischof Dienst tun. Er wirkte fortan als einfacher Seelsorger in der nordischen Diaspora. Heute würden wir von „Downgrading“ aus eigenem Antrieb sprechen. Weihbischof Norbert Werbs aus dem Erzbistum Hamburg hat die konsequente Gewissenshaltung von Niels Stensen in diesem Zusammenhang einmal als „Karriere nach unten“ bezeichnet.

Stensen war zudem ein echter Europäer, der politische, kulturelle und religiöse Grenzen überwinden konnte. Als Sprachgenie beherrschte er neben seiner Muttersprache Dänisch auch Latein, Griechisch, Hebräisch, Niederländisch, Französisch, Deutsch, Englisch und Italienisch. Er konnte sich als Wissenschaftler bei seinen Aufenthalten in unterschiedlichen Ländern fließend unterhalten und wissenschaftliche Ergebnisse austauschen.

Was bedeutet für Sie persönlich, dass sich jetzt eine Reliquie des seligen Niels Stensen im Paderborner Dom befindet?

Dr. Gerhard Müller

Ich freue mich sehr, dass die Kirche von Paderborn nun eine Reliquie von Niels Stensen besitzt. Diese Reliquie bedeutet für mich eine konkrete Nähe zum Seligen und eine Quelle der Kraft für mein Gebet. Bei einem Besuch im Paderborner Dom habe ich bisher oft an der St.-Vitus-Kapelle mit dem Altarbild des seligen Niels Stensen kurz innegehalten, um den Seligen in einem Gebet anzusprechen. Insbesondere am 25. November, dem Gedenktag für Niels Stensen, habe ich regelmäßig diese Kapelle besucht. Leider war sie in den zurückliegenden Jahren oft verschlossen, aber nach einem Gespräch mit der Domgilde wurde der Zugang immer geöffnet.

Ich wünsche mir für die Zukunft, dass die Kapelle für Besucher und Beter geöffnet bleibt und die Reliquie hier einen würdigen Platz zur Verehrung des Seligen findet. Am Gedenktag sollte in dieser Kapelle außerdem eine heilige Messe zu Ehren des seligen Niels Stensen gefeiert werden. Dieser bedeutende Wissenschaftler und vorbildliche Seelsorger hat es verdient, dass er künftig in unserem Erzbistum vielen Menschen näher gebracht wird.

Im Bistum Osnabrück ist das Niels-Stensen-Kirchenlied „War der Weg auch unbekannt …“ sehr beliebt. In der zweiten Strophe heißt es: „Schön ist, was auf dieser Erd unser Auge darf erschauen. Schöneres der Mensch erfährt, kann er auf Erforschtes bauen. Doch das Schönste uns erweist, Herr, Dein Geist.“ In diesen Zeilen spiegeln sich wesentliche Aspekte der wissenschaftlichen und religiösen Grundhaltung von Niels Stensen. Es sollte geprüft werden, ob dieses Lied künftig auch in den Paderborner Anhang des „Gotteslob“ aufgenommen werden kann.

Vielen Dank für Ihre umfassenden Ausführungen, sehr geehrter Herr Dr. Müller.

Seliger Niels Stensen

Niels Stensen wurde am 11. Januar 1638 in Kopenhagen in Dänemark geboren, er verstarb am 5. Dezember 1686 in Schwerin. Nach seinem Studium der Medizin und Anatomie arbeitete er als Arzt und Forscher. Er wurde bekannt als Entdecker und bedeutender Wissenschaftler in den Fachgebieten Anatomie, Geologie, Paläontologie und Mineralogie. 1666 ging er nach Florenz, dort konvertierte er 1667 zur katholischen Kirche. 1675 empfing er die Priesterweihe und wirkte dann als Seelsorger. 1677 wurde er durch Papst Innozenz XI. zum apostolischen Vikar für die Missionen in Skandinavien ernannt, noch im selben Jahr wurde er in Rom zum Bischof geweiht.

Stensen war ab 1680 als Weihbischof für Münster und Paderborn tätig. Ab 1683 wirkte er in Hamburg. Kurz vor seinem Tod ging er nach Schwerin, gründete dort eine katholische Gemeinde und war als einfacher Seelsorger tätig. Niels Stensen starb verarmt in Schwerin. Seine Lauterkeit, sein asketisches Leben und sein vorbildliches Wirken als Priester fanden hohe Anerkennung, auch über Konfessionsgrenzen hinweg. Niels Stensens Gebeine wurden 1687 in die Gruft der Medici in der Kirche San Lorenzo nach Florenz überführt, dort 1953 in eine Seitenkapelle umgebettet.

Am 23. Oktober 1988 wurde Niels Stensen durch Papst Johannes Paul II. seliggesprochen. Sein kirchlicher Gedenktag ist der 25. November.

In einem weiteren Interview stellt Privatdozent Dr. Frank Sobiech den seligen Niels Stensen vor. Der Theologe und Historiker lehrt an der Theologischen Fakultät Paderborn am Lehrstuhl für Kirchengeschichte und Patrologie.

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