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Erzbistum Paderborn
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Ein sehr menschliches Bild von Gott

Wie die Theodizee-Frage einen klaren Blick aufs Leben schenkt

Wieso? Wieso lässt Gott Leid zu, wenn er doch allmächtig und gut ist? Die Theodizee-Frage ist eine Herausforderung. Sie kann wie eine Mauer vor der persönlichen Beziehung zu Gott stehen – und deshalb darf sie im Themenspecial „Zweifeln und Vertrauen“ nicht fehlen.

Wie passt all das persönliche und systematische Leid auf der Welt damit zusammen, dass Gott die Liebe ist? Dass Gott gut ist? Dass Gott allmächtig ist? Fragen, mit denen wir zu Propst Dietmar Röttger nach Soest fahren.

 

 

Dann stellt sich die Frage: Kann ich das, was ich nicht fassen kann, ein Stückchen im Glauben abgeben? Wer glauben kann, der kann sagen: Ich kann nicht begreifen, wieso das geschieht – und trotzdem vertraue ich darauf, dass darunter ein tieferer Zusammenhang liegt, den ich nicht sehe, der aber in Gott begründet ist.

Propst Dietmar Röttger

Redaktion

Propst Röttger, es heißt: Gott ist die Liebe, Gott ist gut. Wenn Sie nur eine Bibelstelle nennen dürften, um das zu untermauern, welche wäre das?

Dietmar Röttger

„Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“ (1 Joh 4,16). Das ist für mich eine zentrale Stelle, weil sie so absolut ist, da wird nicht noch eine andere Facette aufgemacht. Übrigens: Dass Gott die Liebe ist, ist etwas anderes, als einen „lieben Gott“ zu haben. Liebe bedeutet ja nicht „lieb sein“.

Redaktion

Sondern?

Dietmar Röttger

Liebe ist viel tiefgründiger. Liebe ist im Kern etwas, das den anderen ohne Wenn und Aber annimmt. Liebe respektiert und trägt ohne Vorbehalt. Liebe ist ein maximaler Akt der Zuwendung und Nähe. Liebe möchte, dass der oder die Geliebte lebt und auflebt.

Redaktion

Und doch erfahren die Menschen immer wieder Leid. Auf einer Hochzeit sprach ich mit einem jungen Mann, Ende 20, über den Glauben. Ich versuchte ihn fast schon, von Gott zu überzeugen. Da sagte er, dass er zwar katholisch aufgewachsen sei, doch nicht mehr an Gott glauben könne, seit seine Mutter plötzlich verstorben ist. Da kam mir mein Appell für den Glauben ganz schön blöd, fast schon unpassend vor.

Dietmar Röttger

Diese massive Erfahrung von Leid erschüttert, das ist in vielen Fällen so. Ich habe auch Eltern vor Augen, deren Kinder gestorben sind. Da spürt man, dass ihnen etwas entrissen ist und sie sich fragen: Wie soll das in dieser Liebe Gottes aufgehoben sein? Doch die Botschaft, dass Gott die Liebe ist, kann auch ein Ankerpunkt sein, um zu glauben: Wenn jemand entrissen ist, ist er doch von Gott getragen, angenommen, zum Leben gerufen. Gott will das Leben, das wird auch in dem Auferstehungsglauben deutlich, bei dem auch der Tod seinen Platz hat.

Redaktion

„Gott will das Leben“, sagen Sie. Da könnte der junge Mann, der seine Mutter verloren hat, fragen: „Wie können Sie das sagen, wenn meine Mutter gestorben ist?“

Dietmar Röttger

Das kann ich nur in dem Glauben sagen, dass nach dem Tod nicht alles aus ist. Wenn ich annehme, dass der Tod das Ende ist, finito, dann kann ich das Gute, was die Liebe will, nur im Diesseits sehen. Dann kann ich durch jede negative Erfahrung die Liebe Gottes infrage stellen.

Das Beispiel Jesu zeigt mir aber, dass dieses Denken zu kurz greift. Der Tod am Kreuz als der grausamste Tod, den man sich vorstellen kann, kann nur im Glauben ein Zeichen der Liebe und Hingabe sein. Ohne Glauben ist das Kreuz einfach abscheulich. Doch im Glauben kann ich sagen: Am Kreuz hat Jesus gezeigt, dass er gehalten und getragen ist. Er hat das Kreuz überwunden und damit gezeigt, dass die Liebe stärker als der Tod ist. Das ist der Weg, auf dem ich Menschen begleiten möchte, damit sie selbst wieder aufleben können.

Redaktion

Wir kreisen in diesem Interview um die Theodizee-Frage. Wie begegnet diese Frage Ihnen in Ihrer Arbeit?

Dietmar Röttger

Die Frage ist letztendlich: Warum leiden Menschen? So lange es Leid gibt, so lange es Menschen gibt, stellt sich diese Frage auch. Sie lässt sich auch nicht letztlich beantworten, sie lässt immer Fragen offen. Ich merke, dass es Menschen leichter fällt, Leid einzuordnen, wenn sie Begründungen finden. Schwieriger ist es, wenn Dinge geschehen, ohne dass es einen sichtbaren Grund gibt.

Dann stellt sich die Frage: Kann ich das, was ich nicht fassen kann, ein Stückchen im Glauben abgeben? Wer glauben kann, der kann sagen: Ich kann nicht begreifen, wieso das geschieht – und trotzdem vertraue ich darauf, dass darunter ein tieferer Zusammenhang liegt, den ich nicht sehe, der aber in Gott begründet ist.

Redaktion

Neben den ganz konkreten Fällen gibt es auch viele Ungerechtigkeiten in der Welt. Bomben fliegen im Krieg, Menschen flüchten aus ihrer Heimat, weil sie dort keine Perspektive mehr sehen, die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander. Und achja, das Klima wird wahrscheinlich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten kollabieren. Ist es da richtig zu fragen: Warum lässt Gott das zu?

Dietmar Röttger

Da ist es eher die Frage: Wie gehen wir damit um, dass Gott augenscheinlich den Menschen in Freiheit will? Gott hat den Menschen die Freiheit und die Wahl gegeben, die Welt so oder so zu gestalten. Vielleicht glauben manche Menschen auch, dass Gott sagt: „Ich spreche mit meinem Machtwort dazwischen und repariere das“ (haut mit der Faust auf den Tisch). Von dem Gottesbild muss man sich verabschieden.

Redaktion

Aber in der Bibel, im Magnifikat, heißt es doch auch: „Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten“ (Lk 1,51).

Dietmar Röttger

Die Frage ist doch: Was heißt für mich Allmacht Gottes? Stelle ich mir das so vor, als dass er sich kurz an den Experimentierkasten setzt und die Naturgesetze außer Kraft setzt? Das ist für mich keine Allmacht. Gott wirkt nicht wie ein Oberpolitiker oder Oberkönig.

Redaktion

Sondern?

Dietmar Röttger

Für mich bedeutet Allmacht, dass bei Gott mehr möglich ist, als ich es mir vorstellen kann. Für mich zählt die Kraft des Inneren. Vor zwei Wochen haben wir an Pfingsten gefeiert, dass Gott durch den Heiligen Geist als innere Kraft wirkt. Gott wirkt durch den Geist nicht an den Menschen vorbei, sondern durch die Menschen hindurch.

Redaktion

Gott greift also nicht von außen ein? Und er schaut nicht einfach so zu?

Dietmar Röttger

Wenn ich mir einen Gott vorstelle, der eingreift oder zuschaut, dann habe ich schnell zwei Bilder im Kopf. Einmal einen Politiker oder Manager, der schaut, dass alles läuft und seinen nächsten Schachzug plant. Oder jemanden, der sich im Sessel zurücklehnt und zuschaut, was die Menschen alles treiben. Ich glaube, dass das sehr menschliche Bilder von Gott sind.

Redaktion

Was wäre also ein göttliches Bild von Gott?

Dietmar Röttger

Gott ist mehr als der Platzhalter für das, was wir nicht wissen. Er ist der ganz andere. Gott hat das Universum, die Erde und alles Leben geschaffen. Er ist nicht noch einen Tick größer als das alles, wir können ja nur in Raum und Zeit denken, sondern alles, was lebt, ist mit Gott verwoben. Alles ist von Gott durchwirkt. Und das Evangelium zeigt, dass Gott Interesse am Menschen hat. So sehr, dass er in Jesus in die Welt gekommen ist.

Redaktion

Zurück zur Theodizee-Frage. Vor zwei Wochen sind bei einem Gondel-Unglück am Lago Maggiore in Italien 14 Menschen gestorben. Die erste Reaktion wäre auch hier, zu fragen: Wieso passiert das? Wieso lässt Gott das zu? Aber das scheint mir mittlerweile zu leicht zu sein …

Dietmar Röttger

Es gilt, die Zerbrechlichkeit des Lebens anzunehmen. Eine Versicherung wirbt mit dem Spruch: „Leben passiert, wir versichern es“. Das suggeriert, dass es ein Leben geben könnte, in dem keine Brüche sind. Und das stimmt nicht. Leid ist ein Teil des Lebens – das zu erkennen, einzuordnen und anzunehmen ist eine Aufgabe des Erwachsenwerdens.

Redaktion

Was hilft Ihnen dabei, Leid anzunehmen?

Dietmar Röttger

Für mich ist Psalm 23 ein entscheidendes Schriftwort. Dieser Psalm spricht davon, dass es durch dunkle Schluchten geht. Diese Schluchten sind da, in jedem Leben. Aber in dem Psalm steckt auch der Glaube, dass es etwas gibt, an dem ich mich festhalten kann: Gott, symbolisiert mit dem Stock und Stab. Der Psalm zeigt mir: Wenn der Zweifel an Gott und am Leben gesehen, durchlitten und überwunden wird, führt es mich zu einem tieferen Verständnis des Lebens. Dann wird das Leid auch konstruktiv.

Der gute Hirte

1 Der HERR ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. 2 Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. 3 Meine Lebenskraft bringt er zurück. Er führt mich auf Pfaden der Gerechtigkeit, getreu seinem Namen. 4 Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich. 5 Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, übervoll ist mein Becher. 6 Ja, Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang und heimkehren werde ich ins Haus des HERRN für lange Zeiten.

Einheitsübersetzung 2016

Redaktion

Leid führt zum tieferen Verständnis des Lebens, sagen Sie. Was haben Sie vom Leben verstanden?

Dietmar Röttger

Das Leben ist zunächst ein Geschenk. Ich habe es mir nicht ausgesucht, es wurde mir gegeben. Von daher ist es immer Gabe und Aufgabe zugleich. Ich darf aus dem Geschenk, das Gott in mich hineingelegt hat, etwas entfalten. Und ich darf das Geschenk des Lebens immer weiter auspacken, eine Schleife nach der anderen öffnen – und darin viele Menschen entdecken, Talente, schwierige Momente, die mich wachsen lassen. Das Leben ist beständiges Wachstum und nie Stillstand. Auch mit 99 Jahren kann ich wachsen. Und zwar auf Gott hin, von dem ich das Leben geschenkt bekommen habe.

Redaktion

Propst Röttger, vielen Dank für das Gespräch.

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