Durch die Parabeln sind Wände und Decken aufgelöst. Oben und Unten, Himmel und Erde, Gott und die Menschen berühren sich in dieser Kirche. Gott durchwaltet diesen Raum.
Heinz Hardt
Heinz Hardt, Gymnasiallehrer für Französisch und Religionslehre im Ruhestand und engagierter Christ, freut sich sehr, dass „seine“ Kirche St. Antonius ausgewählt wurde, das Kalenderblatt der ersten Juni-Hälfte 2021 zu zieren. „Die Kirche“, sagt er, „ist ein architektonisches Juwel, das leider immer noch viele verkennen. Aber das können wir nun ändern!“
Die Gründung der Kirchengemeinde St. Antonius hat viel mit dem Bergbau zu tun. Bevor im Jahr 1910 Schacht 1 der Zeche Ickern abgeteuft wurde, zählte der Ort nur knapp über 600 Einwohnerinnen und Einwohner, die überwiegende Mehrzahl davon war evangelisch. Mit dem Bergbau wuchs die Bevölkerung binnen weniger Jahre um mehr als das Zwanzigfache. Unter den Zugezogenen waren viele Katholiken, die in ihrer neuen Umgebung an ihrer Konfession festhielten. Besonders hoch war der Anteil der Katholiken unter den sogenannten Ruhrpolen.
Durch die Parabeln sind Wände und Decken aufgelöst. Oben und Unten, Himmel und Erde, Gott und die Menschen berühren sich in dieser Kirche. Gott durchwaltet diesen Raum.
Heinz Hardt
Der schon vor dem Ersten Weltkrieg gefasste Plan, in Ickern eine katholische Kirche im neugotischen Stil zu errichten, musste während des Krieges aufgegeben werden, die Gottesdienste fanden in einer Notkirche statt. Nach dem Krieg war die finanzielle Lage kaum besser. Dennoch wurde der Kirchenbau im Jahr 1922 angegangen. Treibende Kraft war der Gemeindepfarrer Franz Hillebrand, der in quasi franziskanischer Einfachheit lebte. „Er muss ein ungewöhnlicher Mensch gewesen sein“, erzählt Heinz Hardt. „Pfarrer Hillebrand hat sogar polnisch gelernt, damit er in der Muttersprache seiner polnischen Schäfchen predigen konnte.“ Auch bei der Bergwerksgesellschaft stieß der Plan, eine Kirche zu bauen, auf Gegenliebe. Der Industrielle Peter Klöckner, seit 1922 Inhaber der Zeche Ickern, hielt viel davon, dass seine Beschäftigten sich gut integrieren konnten. Ein Schlüssel dazu war die Religionsausübung. Klöckner stiftete der Kirchengemeinde ein Grundstück und stellte mit Alfred Fischer einen Stararchitekten ab, den sich die Kirchengemeinde aus eigenen Mitteln nie hätte leisten können. Der dritte Faktor, der den Bau der Kirche begünstigte, war paradoxerweise die schlechte wirtschaftliche Lage zu Beginn der 1920er-Jahre. Durch die Inflation nach dem 1. Weltkrieg hatten sich die Guthaben der Kirchengemeinde in Luft aufgelöst. Mit der Ruhrbesetzung durch französische Truppen und mit dem passiven Widerstand der Deutschen vertiefte sich die Wirtschaftskrise nochmals. Doch mit der hohen Arbeitslosigkeit standen viele freiwillige Bauhelfer zur Verfügung. Auch der Großvater Heinz Hardts, Heinrich Schürk, schwang auf der Kirchenbaustelle die Schaufel. Dank der vielen Ehrenamtlichen wurde die Kirche 1925 fertiggestellt – obwohl während ihres Baus gleich drei Baufirmen bankrottgingen.
Vielen Beteiligten, darunter Vertreter der erzbischöflichen Baubehörde und auch Pfarrer Hillebrand, erschien die Architektur des Gotteshauses zu modernistisch. Dennoch wurde die Kirche von den Gläubigen gut angenommen. Von außen betrachtet handelt es sich bei der Kirche um eine dreischiffige Basilika im Stil des Backstein-Expressionismus. Insbesondere beim wuchtigen Turm wird deutlich, dass sich der Architekt Alfred Fischer zuvor einen Namen mit Industriebauten gemacht hatte. Wirkt die Kirche von außen düster, zeigt sie sich im Inneren dagegen hell und freundlich. Überwiegen in der Außenansicht die rechten Winkel, sind im Innenraum alle Schiffe und Mauerdurchbrüche als Parabelbögen angelegt. Damit erinnern die Schiffe an die Stollen unter Tage. Für Kirchenkenner Heinz Hardt bedeutet die Architektur aber weit mehr. Er sieht dahinter ein Glaubenszeugnis: „Durch die Parabeln sind Wände und Decken aufgelöst. Oben und Unten, Himmel und Erde, Gott und die Menschen berühren sich in dieser Kirche. Gott durchwaltet diesen Raum.“
Der diesjährige Bistumskalender nimmt uns mit auf eine Reise durch das Erzbistum Paderborn und macht jeden Monat Halt an zwei besonderen Orten: an zahlreichen Kapellen oder Kreuzwegen, die jeweils Zeugen einer interessanten Entstehungsgeschichte sind. Darüber hinaus erzählt der Kalender faszinierende Geschichten von Menschen, die mit diesen Orten verbunden sind – manchmal nicht nur über viele Jahre, sondern sogar über weite Entfernungen hinweg.
Wir stellen Ihnen hier alle zwei Wochen das neueste Kalenderblatt vor.