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Die eigene Geschichte im Gepäck

Der Iserlohner Streetworker Uwe Browatzki gibt den Menschen auf der Straße neue Hoffnung.

Der Iserlohner Streetworker Uwe Browatzki gibt den Menschen auf der Straße neue Hoffnung

Wenn Uwe Browatzki durch die Straßen von Iserlohn geht, wandelt er ein Stück auf seiner eigenen Geschichte. Plätze und Treffpunkte sind ihm aus eigener Erfahrung in Erinnerung, das Verhalten der Menschen, auf deren Pfaden er sich bewegt, kommt ihm bekannt vor. „In den Klienten erkenne ich mich teilweise selbst wieder“, ist der 58-Jährige nachdenklich. Uwe Browatzki ist Streetworker. Alkoholsucht, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit hat er selbst „durchgemacht“. Doch er hat den Absprung geschafft und arbeitet heute als Quartierslotse für die Caritas Iserlohn. „Aus Überzeugung“, ergänzt er.

Mundpropaganda das beste Mittel für Vertrauen

Auf dem „Fritz-Kühn-Platz“ kennen ihn alle. „Hallo Uwe“ schallt es aus allen Ecken. Manche Klienten, wie sie Uwe Browatzki nennt, grüßen freundlich mit einem Handzeichen, andere bitten ihn um ein kurzes Gespräch. Sie wollen nur erzählen, wie der Besuch beim Amt gelaufen ist, oder sich mit ihm verabreden, um ein Problem zu besprechen. „Ich war bei Uwe, und dann ist so gelaufen“, bestätigt einer der Klienten. Diese Mundpropaganda sei das effektivste Mittel, um für die Streetworker bei den Betroffenen zu werben und Vertrauen zu bekommen, freut sich Uwe Browatzki.

Der „Fritz-Kühn-Platz“ in der südlichen Innenstadt von Iserlohn ist ein geschichtsträchtiger Ort. Das alte Zeughaus auf der einen Seite sowie die beiden Kirchen umschließen den Platz. Zwei Kirchen, die schon in langer Vorzeit von einer Spaltung der Gesellschaft zeugen. Denn die unten errichtete „Bauernkirche“ wurde zur Kirche für die ländliche Bevölkerung. Die Städter haben auf dem Berg ihre „Oberste Stadtkirche“ entgegengestellt.

Der Weg aus der Alkoholabhängigkeit ist eine steile Treppe mit vielen Stufen

„Genau hier ist mein Einsatzgebiet“, möchte Uwe Browatzki mit keinem Arbeitsplatz tauschen. Die markante Treppe, die zum Fritz-Kühn-Platz führt, und auch ein Symbolbild für Unter- und Oberstadt ist, liegt genau im Blickfeld vom kleinen Büro, das er und seine Kollegin von der Drogenberatung im Märkischen Kreis zur Verfügung gestellt bekommen haben. „Hier haben unsere Klienten keine Berührungsängste, bei uns anzuklopfen. Ein klassisches Bürogebäude würde sie abschrecken.“

Die Treppe zieht das Klientel an. 60 bis 70 Obdachlose, Drogenabhängige, Alkoholiker, und Suchtabhängige können es schon mal sein. Die Stufen haben für den „Iserlohner Sozialadel“ auch eine Symbolik: mal geht es auf, dann auch wieder ab. Nicht viele schaffen den Absprung. Uwe Browatzki macht keinen Hehl daraus, dass er selbst Glück hatte, raus zu kommen: „Ich war selbst jemand aus diesem Sozialadel, der von der Stütze gelebt hat. Mein Vater war Trinker. Ich bin auch abgerutscht, war auf der schiefen Bahn bis hin zur Gerichtsverhandlung.“

Er habe nie so werden wollen, wie sein Vater, erinnert sich Browatzki an seine Jugend. Dass Schicksale manchmal vererbt würden, kenne er nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern erlebe dies auch im Arbeitsalltag.

Den Lieblingsverein verpennt und dann wach gerüttelt

Als 13-Jähriger hatte er einen ersten Alkohol bedingten Filmriss, musste auch in ein Erziehungsheim. Eine Karriere bei der Bundeswehr „versoff“ er ebenfalls. Es kamen Tabletten-Sucht, Diebstähle und Einbrüche hinzu. Entzugstherapien brachten keinen Erfolg. Auch als er nach einem Herzstillstand reanimiert werden musste, ließ er nicht vom Alkohol. 32 Entgiftungen und vier Langzeittherapien seien es bis dahin gewesen, erinnert sich Uwe Browatzki. Vier Jahre dauerte es dann noch, bis der Iserlohner endlich wach gerüttelt wurde. Es war die pure Scham, die die Wende einläutete.

Geschämt und gehandelt

Ausgerechnet den Gewinn der Champions League seines Lieblingsvereins – Borussia Dortmund – bekam Uwe Browatzki nicht mit. Dass zweimal Kalle Riedle und einmal Lars Ricken die Tore zum 3:1-Sieg „seines BVB“ erzielten, verschlief der Iserlohner: „Ich wachte am anderen Morgen in einem fremden Garten auf. Neben mir stand ein riesiger Hund. Vom Balkon beobachtete mich erschrocken eine junge Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Sie hatten Angst vor mir. Das war schlimm. Ich war vollgepinkelt und verlor die Selbstachtung vor mir.“

Ein heilsamer Moment für Browatzki, dessen Wille nun geweckt war: „Ich wollte in die Klinik und habe dann den richtigen Therapeuten getroffen.“ Er möchte jeden Suchtkranken Mut machen, räumt aber ganz selbstkritisch ein: „Wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich diesen Schritt wohl nicht getan. Der Entzug war ein neues Leid.“ Doch Aushalten und Motivation wurden belohnt. Mit der Unterstützung seiner Schwester und der Caritas hielt er auch nach dem Klinikaufenthalt durch. Er, der langjährig Wohnungslose, bekam sogar eine Wohnung. „Ich habe dem Vermieter alles offen erzählt, und erhielt überraschend den Mietvertrag.“

Selbsthilfegruppe „Eins, Zwei, Dry“

Ein neuer Anfang war gemacht. Bei allen Perspektiven, die sich für Uwe Browatzki eröffneten, wollte er seine „Heimat“ nicht vergessen. Sich für die Menschen am Rande der Gesellschaft einzusetzen, war ihm einen Herzensangelegenheit. 2003 gründete er eine Selbsthilfegruppe für Alkoholiker: „Eins, Zwei, Dry.“

Durch das Bildband-Projekt „MUT“ des Iserlohner Fotografen Lutz-Tim Tölle geriet Uwe Browatzki in den Fokus. Seine Herzensangelegenheit, sich für die Szene „der illegalen Substanzen und Alkohol“ einzusetzen, wurde bekannt. Seine Arbeit erhielt Anerkennung. Aus der ehrenamtlichen Berufung wurde der Beruf, als ihm eine Stelle angeboten wurde. Sucht- und Schuldnerberatung der Caritas kannte er aus eigener Erfahrung. „Nun begrüßte mich plötzlich der Amtsleiter mit den Worten ‚Guten Morgen Herr Kollege‘“, blickt Browatzki zurück, als er in das 2-Jahres-Projekt „soziale Stadt“ einstieg. Er wollte dabei bleiben, qualifizierte sich und machte die Ausbildung zum Suchberater. Seit sieben Jahren ist er nun dabei. „Ich bin den Menschen dankbar, die mich begleitet und auf den Weg geführt haben. Aber auch denen, die mir eine Chance gegeben haben.“

Eine Idealbesetzung für den Job

Der neue Streetworker war eine Idealbesetzung. Er kennt die Menschen, die der Szene angehören. Er kennt aber vor allem ihre Nöte und Sorgen – ja sogar ihre Wege. Zugleich öffnet er Türen. „Mit meiner Vita haben viele Leute sich ein Herz genommen und Kontakt aufgenommen. Während sie das Schamgefühl doch eher zurückhaltend macht.“ Und mit ein wenig Stolz blickt Uwe auch auf das Ehrgefühl seines Klientel: „Obwohl die Leute wissen, wo ich wohne, ist meine eigene Haustür für die Szene tabu.“

Uwe Bowatzki ist Vermittler, manchmal auch Friedensstifter, Berater, Zuhörer, Organisator. Er ist vor allem aber mittendrin. Ein gutes Netzwerk sei wichtig, um Spenden zu erhalten, Unterstützung bei Essenausgaben oder eine Vermittlung zum Job-Center. „Ich glaube schon, dass Iserlohn ein sehr gutes Hilfsangebot hat.“ Über all die Jahre seien aber die Beweggründe, warum Menschen abrutschen, die gleichen geblieben. Leider bleibe auch die Erkenntnis „einmal Sucht, immer Sucht“. „Nur die Familien und Abhängigen werden jünger.“

Drei Fragen an:

Redaktion

Was bewegt Sie, als Streetworker zu arbeiten?

Uwe Browatzki

Meine persönliche Geschichte und Erfahrung, aber auch die Nächstenliebe.

Redaktion:

Wie weit ist der Weg aus der Szene zurück in die Gesellschaft?

Uwe Browatzki:

Es ist schwierig aus so einer Szene wieder zurück in die Gesellschaft zu kommen. Es gehört auch ein gewisser Intellekt dazu.

Redaktion:

Wie schaffen Sie ihren schweren Job?

Uwe Browatzki:

Bei der Arbeit benötigt man ein dickes Fell, ein Stück Selbstironie. Ohne Humor würde die Arbeit nicht funktionieren. Und ich schaue ja in den Spiegel, wenn ich die Klienten sehe.

Ein Porträt der Caritas

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Video über die Arbeit von Uwe Browatzki, das vor der Corona-Pandemie gedreht wurde.

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