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Erzbistum Paderborn
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Asylverfahren müssen rechtssicher und fair bleiben

Interview mit dem Flüchtlingsbeauftragten des Erzbistums Paderborn, Domkapitular Dr. Thomas Witt


Domkapitular Dr. Thomas WittCaritasverband für das Erzbistum Paderborn
Der Umgang mit Flüchtlingen und Migranten bestimmte in den letzten Wochen und Monaten die politische Diskussion wie kein anderes Thema. Wir sprachen mit dem Flüchtlingsbeauftragten des Erzbistums und Vorsitzenden des Caritasverbandes für das Erzbistum  Paderborn, Domkapitular Dr. Thomas Witt, über die aktuelle Entwicklung.

Seit Anfang 2016 üben Sie die Aufgabe des Flüchtlingsbeauftragten des Erzbistums Paderborn aus. Was hat sich in dieser Zeit verändert?

Witt: Die gesellschaftliche Stimmungslage hat sich inzwischen fast umgekehrt. Damit meine ich vor allem die „gefühlte“ Stimmung, bei der nur noch eine Fragestellung die Diskussion zu bestimmen scheint: Wie können wir verhindern, dass weiter Menschen zu uns kommen? Die Menschen, um die es geht, sind in der öffentlichen Wahrnehmung ganz aus dem Blick geraten. Als Problem sehen wir nur noch, wie  w i r  mit den Flüchtlingen und Migranten umgehen können. Die Probleme der Menschen, die sie zur Flucht angetrieben haben, sehen wir nicht mehr. Trotzdem ist dies auch nur eine „gefühlte“ Stimmung. Denn es gibt nach wie vor viele Menschen, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren. Leider wird diese so wichtige Arbeit kaum mehr wahrgenommen und die Ehrenamtlichen müssen sich oft genug für ihren Einsatz rechtfertigen.

Die Bundesregierung wäre beinahe an der Auseinandersetzung der Unionsfraktion über die Flüchtlingspolitik zerbrochen. Nun haben die Regierungsparteien ein gemeinsames Vorgehen verabredet wie Zurückweisungen gehandhabt werden sollen. Wie sehen Sie das Ergebnis?

Witt: Es ist nicht meine Aufgabe, politische Vereinbarungen im Detail zu beurteilen. Politiker haben naturgemäß einen anderen Blick als Vertreter der Caritas und der Kirche. Gegenüber Gesellschaft und Politik vertreten wir aber Grundsätze, für deren Einhaltung wir uns einsetzen. Dazu gehört die Orientierung am Schutzbedarf bei der Aufnahme von Asyl- und Schutzsuchenden, die Verwirklichung des Grundsatzes „Menschenschutz vor Grenzschutz“ und die Garantie des Asylrechts durch individuelle Verfahren, damit jeder wirklich Verfolgte Schutz finden kann. Er muss also die Möglichkeit bekommen, seinen Antrag zu stellen und individuell gehört zu werden. Und es gehört auch zu unseren Prinzipien, dass auch für diese Menschen alle im Gesetz vorgegebenen Rechtsmittel ausgeschöpft werden können. Dafür muss es eine entsprechende und unabhängige Beratung geben. Das Anliegen der Regierung, die Verfahren zu beschleunigen, teile ich voll und ganz. Die im Einzelfall mehrjährige Ungewissheit ist für die Menschen eine Qual. Diese Beschleunigung darf aber nicht damit erkauft werden, dass die Qualität der Asylverfahren schlechter wird und den Menschen der ihnen zustehende Rechtsschutz verweigert wird.

Bei einem EU-Gipfel Ende Juni haben sich die 28 Mitgliedsstaaten auf eine Reform ihrer Flüchtlingspolitik geeinigt. Unter anderem sollen auf freiwilliger Basis Asylzentren in EU-Staaten errichtet und Flüchtlinge, die im Mittelmeer gerettet wurden, in Aufnahmelager in Nordafrika gebracht werden, um über ihre Asylberechtigung zu entscheiden. Wie sehen Sie das?

Witt: Das Anliegen kann ich verstehen. Ob es aber wirklich eine reale Chance gibt, solche Lager in Nordafrika so zu führen, dass sie europäischen Maßstäben genügen, da habe ich meine Zweifel. Dort müsste ja gewährleistet sein, dass europäische Beamte nach allen Regeln der Kunst die Anträge prüfen, gegebenenfalls Gutachten erstellen lassen, medizinische und psychologische Hilfe bereitstellen und gegebenenfalls den Rechtsweg ermöglichen. Und das bei täglich ungezählten Neuzugängen. Wie das möglich sein soll, dazu fehlt mir die Phantasie. Die meisten in Frage kommenden Länder lehnen dies ja auch schon ab. Und ob Libyen da ein geeigneter und verlässlicher Partner ist, darf man wohl in Frage stellen.

Einig ist man sich in der EU vor allem darüber, dass man den Grenzschutz verstärken muss. Ist das ein geeignetes Mittel zur Lösung der Probleme?

Witt: Es kann helfen,  u n s e r e  Probleme zu lösen. Und das tut es ja auch schon. Die Zahl der nach Europa und Deutschland kommenden Geflüchteten ist ja drastisch zurückgegangen, so dass die ganze Problematik zurzeit auch aufgebauscht erscheint; die Neuzugänge liegen ja unter der schon vorher vereinbarten „Obergrenze“. Aber es löst natürlich überhaupt nicht die Probleme der Menschen. Und wenn die Lage in vielen Ländern Afrikas sich weiter verschlimmert, wird es kaum Mittel geben, den dann immer stärker werdenden Migrationsdruck dauerhaft aufzuhalten.

In Seenot geratenen Menschen weder selbst zu helfen noch Dritte helfen zu lassen, ist völkerrechtswidrig und inakzeptabel, wie die Deutsche Bischofskonferenz jetzt erklärt hat. Die Grenzsicherung geht aber zunehmend über Leichen. Dass jetzt freiwilligen Hilfsorganisationen die Ausfahrt ihrer Schiffe verweigert wird, dass man ein Aufklärungsflugzeug am Start hindert, kann man eigentlich nur so deuten: Die Menschen sollen ertrinken! So hofft man wahrscheinlich, einen Abschreckungseffekt zu erreichen.

Glauben Sie nicht, dass das erreicht werden wird?

Witt: Im Großen und Ganzen nein. Die Menschen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern in Libyen leben und ihr Dasein fristen, sind verzweifelt genug, um alles auf eine Karte zu setzen. Sie wissen vermutlich auch gar nicht so gut wie wir, wie gefährlich die Überfahrt ist. Helfer auf Rettungsbooten berichten, dass die Menschen, die sie aufnehmen, ganz erstaunt sind, wie weit es noch bis Malta oder Italien ist. Sie haben keine Vorstellung von der Gefahr, in die sie sich bringen. Und so werden sie es immer wieder versuchen, wenn die Verzweiflung groß genug ist. Schließlich haben sie nicht mehr viel zu verlieren.

Viel ist die Rede von der „Fluchtursachenbekämpfung“. Wie sehen Sie das?

Witt: Perspektivisch ist dies das wichtigste Thema. Wir müssen helfen, dass die Menschen in ihren Ursprungsländern leben können, und viele wären vielleicht schon damit zufrieden, einfach nur zu überleben. Das ist ein ganz breites Thema. Hier geht es nicht nur um Entwicklungshilfe; vielleicht nicht einmal in erster Linie. Viel wichtiger wären faire Handelsbeziehungen, faire Preise für die Produkte aus diesen Ländern. Wichtig wäre das Stoppen der Hilfe für diktatorische Regime, um dann unsererseits die Rohstoffe dieser Länder auszuplündern. Das freilich wird nicht anders funktionieren, als dass auch wir lernen, auf einen Teil unseres Reichtums zu verzichten. Ein Null-Summen-Spiel wird das nicht. Aber alles andere wird uns später viel teurer zu stehen kommen.

Aber selbst wenn wir damit sofort begännen, wird es dauern, bis sich die Früchte zeigen. In der Zwischenzeit müssen wir versuchen, mit den Menschen, die zu uns kommen, gute Wege zu finden. Wir werden über einen langen Zeitraum beides tun müssen: Den betroffenen Ländern helfen, sich zu entwickeln, um ihren Bewohnern echte Lebensperspektiven zu geben, und denen, die zu uns gekommen sind, den nötigen Schutz zu gewähren. Wir müssen versuchen, den Menschen gerecht zu werden – und das ist mehr als gesetzeskonform zu handeln.

Dafür täte uns ein Rückgriff auf die 2015 gezeigte Willkommenskultur gut; sicher verändert und gereift auch durch viele Probleme, die sich in den Jahren 2015 und 2016 zeigten, und die 2015 in der Euphorie verdrängt wurden. Aber eine prinzipielle Offenheit für Fremde und ihre Not würde uns helfen, für alle gute Lösungen zu finden.

Wie beurteilen Sie die vom Bundesinnenministerium geplanten AnkER-Zentren?

Witt: Ich fürchte, dass man das, was man angeblich erreichen will, nicht erreichen wird. Wie  schon gesagt: Eine Beschleunigung der Verfahren ist an sich zu begrüßen. Aber sie müssen rechtssicher und fair sein. Das geht nicht ohne eine unabhängige Rechtsberatung, die – so scheint es – nicht sicher gewährleistet sein wird. Die Unterbringung in großen Lagern erzeugt darüber hinaus mehr Probleme als sie löst. Soziale Konflikte werden unnötig verschärft, mit denen wir dann später wieder zu kämpfen haben. Die Schaffung von AnkER-Zentren wird von allein nicht dazu führen, dass Asylanträge schneller und vor allem rechtssicher bearbeitet werden können. Die AnkER-Zentren – und ähnliche Pläne wie z.B. der Asylstufenplan in NRW – beschleunigen weniger die Asylverfahren, als vielmehr die Entrechtung von Asylsuchenden.

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