Berlin (KNA) In der Debatte über Abtreibung dringt das Mitglied im Deutschen Ethikrat, Petra Bahr, darauf, auch die Rolle von Männern in den Blick zu nehmen. "Sie fehlen in den meisten politischen und ethischen Debatten, sie fehlen als die andere Hälfte der Verantwortung in einer dilemmatischen Lebenslage", schreibt die Regionalbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers in der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag).
"Die toxische Verantwortungslosigkeit, bei der die Drohung von Liebesentzug noch die harmloseste ist, aber auch der faktische Eindruck, für die Gestaltung des Lebens mit unerwünschtem Kind nicht zuständig zu sein, löst die inneren Konflikte oft erst aus oder verschärft sie." Abtreibungsdebatten seien bis heute Debatten über Frauen - "manchmal, selten genug, auch mit ihnen", schreibt Bahr.
Eine Diskussion über eine "endemische Verantwortungslosigkeit von Männern, die sich buchstäblich aus der Affäre ziehen, dann aber politisch über Frauen bestimmen wollen", sei nach wie vor unterbelichtet, so Bahr. "Das macht die Wut der 'Pro Choice'-Bewegung auch mir als Christin so nachvollziehbar. Frauen werden nur noch als 'Gebärmutter' gesehen."
Die Regionalbischöfin schreibt: "Ein Lebensschutz, der die vielen Dilemmata einfach vom Tisch wischt und Selbstbestimmung aussetzt, um vermeintliche Bestimmung dagegenzusetzen, ist eine gefährliche politische Pose, nicht christlich, sondern entwürdigend. Der oktroyierte Lebensschutz endet dazu meist direkt nach der Geburt." Künftige Lebenschancen von Müttern und Kindern spielten keine Rolle.
"Die versteinerte soziale Ungerechtigkeit von Gesellschaften, die sich wie in den USA den unbedingten Lebensschutz auf die Fahnen und nun auch in die Gesetze geschrieben haben, wird zynisch hingenommen oder gar zu Gottes Willen erklärt", kritisiert Bahr. Das oberste Gericht der USA ermöglicht den Bundesstaaten ein Verbot von Abtreibungen: Kürzlich hoben die Richter in Washington das Grundsatzurteil "Roe vs. Wade" auf. Damals hatte der Supreme Court entschieden, dass der Gesetzgeber den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht beschränken dürfe. Dies hatte zu einer umfassenden Freigabe von Abtreibungen in den meisten US-Bundesstaaten geführt.
In der Corona-Pandemie habe sich zudem weltweit eine "systematische Benachteiligung" von Frauen, die ihre Kinder alleine großzögen, verschärft. "Auch in Deutschland passiert nur wenig, um das zu ändern. Diese Pro-Life-Bewegung, die ihren Namen verdient, könnte hier ansetzen, und ich wäre dabei." Der Umgang mit ungewollten Schwangerschaften sei ein Dilemma, eine "saubere 'Lösung'" gebe es nicht, betont Bahr.
Kürzlich hatte der katholische Berliner Erzbischof Heiner Koch in Debatten zu Abtreibung vielfach "Härte und Unversöhnlichkeit" von Gegnern und Befürwortern beklagt. Beraterinnen stünden Frauen, die ungeplant oder ungewollt ein Kind erwarteten, zur Seite, betonte Koch im rbb. Auch er sprach eine in manchen Fällen zu erkennende mangelnde männliche Verantwortung an.
Aufgabe der Beraterinnen sei es, für das Leben zu beraten. Zugleich gehe es darum, die Entscheidung in Konfliktsituationen bei der Frau zu belassen. Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen in katholischer Trägerschaft stellen im Unterschied zu anderen nicht den für eine straffreie Abtreibung erforderlichen Beratungsschein aus.
Im Zusammenhang mit dem Beschluss des Bundestags zur Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen hatte zudem der Sprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, betont, dass sich die katholische Kirche auch weiter "konkret und politisch für den Schutz des ungeborenen Lebens und die Sorgen und Nöte ratsuchender Frauen einsetzen" werde.